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KopfKissenKino - Hinterhaeltig Unerwartetes

KopfKissenKino - Hinterhaeltig Unerwartetes

Titel: KopfKissenKino - Hinterhaeltig Unerwartetes
Autoren: Peter J. Scholz
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hinsehen.
     
    Samantha kann dies, im Gegensatz zu uns allen anderen. Wir haben das Staunen verlernt. Unnütz wie Möbel stehen wir in unseren unbewohnten Leben umher. Mal bewegt uns noch der Wind.
    Entweder stimmt die Richtung oder er ist einfach nur stark genug. Meist letzteres.
     
    Mit einem Lachen, das zu gleichen Teilen Unbekümmertheit, Wissen, Neugier und Irrsinn beinhaltet, tollt Samantha dann um uns herum und durch und durch.
    Da es keine Verstecke mehr gibt, hat das Verstecken seinen Reiz verloren. Da das Spiel ausgespielt ist, liegen die Würfel, um es zu spielen, brach.
    Und da jeder heimgekehrt ist, es sich längst zuhause gemü tlich gemacht hat, herrscht diese angenehme Leere. Nur ein leises Ziehen, das mich daran erinnert von Zeit zu Zeit: An die Verrücktheit der Vergangenheit, die sich der Gegenwart ergab und so gegenwärtig wurde, dass die Zukunft sich immer weiter entfernte. Und in diesem Jetzt gefangen, starben wir aus – nacheinander oder durcheinander.
     
    Nur Samantha nicht.
     
    Jedes Mal wenn sie erscheint, ist es, als käme jedes gelachte Lachen mit ihr, wird wie ein Echo von der Leere zurückgeworfen, weil die Leere alt geworden und sich nicht mehr mit dem kindlichen Tand konfrontiert sehen will.
     
    Aber etwas bleibt immer.
     
    Und während Samantha lachend in ihrer changierenden Erscheinung, Handstand schlagend, singend Unbekümmertheit ausstrahlt, wieder einmal allein und dennoch einem Jahrmarktumzug gleich, wieder aus dem Jetzt am Horizont in das Vergessen zu fallen droht…
     
    …fällt eine einzelne Pfütze Wasser aus meinem Auge und in den Staub.
     
    „Seltsam und doch schön“, sind meine Gedanken – bevor ich mich wieder einreihe in die außergewöhnlich tote Lebendigkeit dessen, was man „Erwachsen sein“ nennt.
     
     

Schöne Bescherung
     
    „Isses also mal wieder soweit..."
    Eine leichte Genervtheit durchzieht die Stimme.
    Sie gehört zu dem Herrn in mittleren Jahren, der mit Anzug und einem um die Schultern drapierten Mantel an einem der drei Stehtische vor der Kaffeebude hier am Marktplatz steht.
    Weihnachten herrscht. Auf der Überholspur. Wir schreiben den 19. Dezember und die Menschen sind dabei, den nächsten Gang in Bezug auf vorfestliches Tempo einzulegen.
    Während der Herr in seinem Kaffee rührt, bemühen sich seine Kollegen ihm beizupflichten. Alle drei wi rken sie wie perfekte Abziehbilder des Sprechers, was Haltung, Kleidung und Typus angeht: der Hauch von „Bürokratie de Cologne" umgibt sie alle.
    Und so ist es kein Wunder, dass das vorbeihastende Volk sie nicht wahrnimmt.
    Sie sehen einfach zu grau aus.
    Zu übersehbar.
    Ein sicheres Zeichen, dass alles so ist, wie es sein soll.
    „Ich hab schon aufgehört zu zählen, wie oft..."
    Der Sprecher nimmt einen Schluck, seine drei Mi tstreiter tun es ihm gleich. Alle vier verziehen den Mund.
    „Allein für diesen Kaffee verdienen sie es gründlich!", stellt der Herr in mittleren Jahren fest, während er den Kaffee im Mülleimer in der Mitte des Stehtisches versenkt. Zwei der drei tun es ihm gleich — nur der Dritte, der tatsächlich jünger wirkt (aber auch nur, wenn man genau hinsieht), nimmt noch einen Schluck. Seine drei Gefährten mustern ihn, so wie man einen soeben entdeckte Insektenspezies mustert: in einer Mischung aus Faszination und leichtem Ekel.
    In die unbehagliche Stille hinein, die sich am Tisch ausbreitet, weht fröhlich schmissige Weihnachtsm usik: „Freuet Euch, Christkind kommt bald!"
    Der Sprecher drängt diesen Augenblick Gegenwärti gkeit mit seinen Worten wieder zurück: „Das kommt davon, wenn man der größten Imbisskette bei der weltweiten Expansion hilft. Der Geschmack bleibt zwangsläufig auf der Strecke!"
    Dabei lässt er seinen Blick über die Massen von Weihnacht seinkäufern schweifen.
    „Quod erat demonstiandum", setzt er hinzu.
    Und der Jungspund darf sich ob dieser Formulierung gleich wieder ein bisschen besser fühlen.
    „Nun denn, auf geht's!", befiehlt der Sprecher. „Wo llen wir uns mal darum kümmern, dass die Weissagungen der Maya entsprechend umgesetzt werden!"
    Und so machen sich die vier Buchhalter der Apok alypse ans Werk: den Weltuntergang wieder einmal — einzuläuten. Der dann — wie schon so oft, das kennen sie schon — in letzter Instanz doch wieder nicht stattfinden wird.
     
    Aber immerhin wurde das Weihnachtsgeschäft empfindlich gestört: Durch Uhren, die an allen öffentlichen Plätzen genau 5 Minuten nach- oder vorgingen — je
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