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Kontrollpunkt

Kontrollpunkt

Titel: Kontrollpunkt
Autoren: David Albahari
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der Kommandant. Er fragte, was es zum Mittagessen gebe, obwohl er so gut wie wir alle die Antwort wusste: Bandnudeln mit Käse, Rote-Bete-Salat und einen großen Keks mit Schokoladensplittern. Jemand fragte, wo der Tarnanzug abgeblieben sei, den die Soldaten im Gebüsch gefunden hatten, und ob man etwas Näheres darüber wisse? Ja, natürlich, sagte der Kommandant, wir haben die Uniform oder genauer gesagt deren Teile untersucht, denn sie war in mehrere Stücke zerrissen. Er ging ausführlich auf die Anzahl der Teile ein, auf die Gewalt, die man beim Zerreißen der Uniform hatte anwenden müssen, und darauf, dass nichts verriet, wo die Uniform angefertigt oder gekauft worden war oder wer sie getragen hatte. Das Einzige, was ein wenn auch recht trübes Licht ins Dunkel warf, war ein grauer Chip, auf dessen beiden Seiten die Zahl 5 stand. Solche Chips, klärte uns der Kommandant auf, werden meist in öffentlichen Telefonzellen oder öffentlichen Verkehrsmitteln gebraucht, es gibt jedoch keinen Hinweis darauf, in welcher Stadt oder in welchem Land. Aber vielleicht werden sie auch gar nicht gebraucht, fuhr der Kommandant fort, vielleicht ist das ein Überbleibsel aus einer weit zurückliegenden Zeit, vielleicht ist es ein Andenken, das sein Besitzer jahrelang aufbewahrt und dann in der Gesäßtasche des weggeworfenen Tarnanzugs vergessen hatte. Wer weiß, vielleicht sucht er es jetzt ganz aufgeregt und stöbert vergeblich in seinen Kleidern danach. Die Soldaten wurden ernst, sie tasteten mit hastigen Bewegungen ihre Taschen ab, in denen sie offensichtlich ähnliche Andenken aufbewahrten. Ein Soldat wollte sich diesen Chip ansehen, der dann bald von einer Hand zur anderen wanderte, aber niemandem fiel etwas dazu ein. Es gab zwar wilde Vermutungen, mit denen man jedoch keine Zeit verlieren sollte. Stattdessen sollte man lieber ein paar Worte darüber sagen, wie die Gruppe zusammengesetzt war, die den Auftrag hatte, den Kontrollpunkt zu bewachen, denn bisher wurde darüber nichts berichtet, und später wird es vielleicht keine Zeit mehr dafür geben. Also, der Kommandant hatte neben drei Zügen mit jeweils einem Zugführer einen jüngeren Offizier, einen Koch und einen Sanitäter unter sich. Der Sanitäter war außerdem Schriftführer, Verantwortlicher für die Versorgung, Funker und wahrscheinlich noch etwas anderes. Eigentlich konnte man schon nicht mehr von drei Zügen sprechen, da es wegen des Mordes an dem Wachposten nur noch zwei vollständige und einen unvollständigen Zug gab. Vielleicht ist das Wort »Mord« nicht angebracht, denn noch hatte man die Ursache seines Todes nicht offiziell geklärt. Es gibt nämlich immer Menschen, die Getötete zu Selbstmördern erklären möchten, weil die Armee sich auf diese Weise eines großen Teils der Verantwortung entledigt, aber in diesem Fall kam das nicht in Frage. Eine solche Wunde, wie sie dieser Wachposten rechts am Hals hatte, konnte sich niemand selbst beibringen, vor allem nicht, wenn er wie dieser Rechtshänder war. Vielleicht wäre es für alle einfacher gewesen, wenn der Wachposten sich selbst getötet hätte, denn dann hätte man bei der Benutzung des Klos nicht vorsichtig sein müssen. Da die Soldaten aber wussten, dass ihr Kamerad überrascht worden war, während er keuchend versuchte, den Unrat aus seinem Leib herauszupressen, gingen sie jetzt paarweise und manchmal sogar zu fünft oder zu sechst zum Klo. Während einer auf der Toilette saß, passten der andere oder die anderen auf. Nachts war das jedoch ein Problem: Bei Dunkelheit traute sich niemand mehr, das Klo aufzusuchen, weswegen w ir einen kleinen Raum herrichten mussten, der dessen Funktion in der Nacht erfüllte. Die zwei oder drei Eimer, die für die Notdurft benutzt wurden, holten wir gleich nach dem Wecken, leerten sie und bereiteten sie für die nächste Nacht vor. Zum Glück waren die Soldaten meist junge Männer, das heißt, es gab nicht viele, die nachts zu den Eimern schlichen und dabei vermeiden mussten, viel Lärm zu machen. Alle wurden jedoch damit beauftragt, die Eimer wegzubringen und zu leeren, was nicht jedem recht war. Aber wollte man es jedem recht machen, gäbe es gar kein Militär, nicht wahr? Der Kommandant war streng und bereit, jeden sofort zu bestrafen, der sich nicht an die Ordnung hielt. Am nächsten Morgen nahm er höchstpersönlich den ersten Eimer voll Urin und Kot und goss ihn in das Klo. Abends wurde beim Verlesen des Tagesbefehls mitgeteilt, welche Kameraden das
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