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Kontrollpunkt

Kontrollpunkt

Titel: Kontrollpunkt
Autoren: David Albahari
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unternähmen? Der Kommandant rutschte auf seinem Ledersessel hin und her und wischte sich den Schweiß von der Stirn, wobei ihm einfiel, dass er das keinesfalls tun durfte, um nicht den Puder in seinem Gesicht zu verschmieren. Nichts unternehmen sie, sagte er, weil das Fräulein, das diese Frage gestellt hat, dort auch fluchen würde. Die Moderatorin bemerkte lächelnd: Frau, nicht Fräulein. Die Anruferin war meine Mutter. Der Kommandant versuchte seinerseits, mit einem Lächeln zu antworten, aber auf seiner Oberlippe hatte sich schon so viel Schweiß angesammelt, dass zwei Rinnsale an seinem Kinn herunterliefen, und er wischte beide mit einer breiten Bewegung ab, worauf ihn die Sekretärin der Regie böse anschaute und den Kopf schüttelte. Und nun die letzte Frage, kündigte die Moderatorin an, haben Sie in diesem Krieg etwas Schönes erlebt? Der Kommandant dachte kurz nach und sagte: Ich bin am Leben geblieben. Die Moderatorin sah ihn an: Nur das? Nur das, wiederholte der Kommandant. Plötzlich war ihm das so peinlich, dass er sich am liebsten geohrfeigt hätte. Doch dann beruhigte er sich, wartete ab, dass der Abspann zu Ende lief, und plauderte währenddessen mit der Moderatorin, wobei er unverhohlen auf die Schatten unter ihrem Rock starrte, bis sie die Beine übereinanderschlug. Da stand er auf, ging ins Bad und versetzte sich selbst mit aller Wucht einen Nasenstüber. Der Schlag war schmerzhaft, viel schmerzhafter als erwartet, seine Nase war sogar ein wenig schief, schwoll bald an, und aus beiden Nasenlöchern lief Blut. Während er versuchte, es mit Hilfe von Papiertaschentüchern und kalten Umschlägen zum Stillstand zu bringen, fiel ihm der Koch ein. Er dachte, man hätte ihn mit Steinen zudecken sollen, statt ihn den Aasgeiern zum Fraß zu überlassen. Er verspürte eine große Müdigkeit und schaffte es nur mit größter Mühe, nicht auf der Stelle da einzuschlafen, wo er sich gerade befand. Er ging jedoch zunächst zur Wohnungstür, drehte den Schlüssel zweimal um und legte die Sicherheitskette vor. Denn ein wenig zusätzliche Sicherheit schadete nicht. Draußen herrschte immerhin Krieg.

Dank
    Der Verlag dankt dem Ministerium für Kultur der Republik Serbien für die freundliche Förderung der Übersetzung des Buches.

Über das Buch
    Eine Gruppe von Reservisten wird nachts zu einer einsamen Schranke im Wald gebracht und dort alleingelassen. Keiner von ihnen weiß, was und wen sie an dem Kontrollpunkt beobachten, gegen wen und warum sie kämpfen sollen. Die namenlosen Soldaten wissen nicht einmal, ob der Krieg noch andauert. Ohne Kontakt zur Außenwelt sind sie allein ihrem Kommandanten unterstellt.
    In dieser kafkaesken Situation kommt es zu merkwürdigen Begegnungen mit Flüchtlingen, mit einer Meute von Kriegsberichterstattern, zu Orgien und Massenvergewaltigungen sowie zu mysteriösen Morden. Am Ende bleibt nur der Kommandant übrig. Doch nachdem er eben noch in einer Baumkrone ausgeharrt hat, findet er sich plötzlich in seiner Wohnung wieder, wo er über den Bildschirm in ein Gespräch mit der Moderatorin einer Reality Show verwickelt wird.
    Eindringlicher als reale Berichte über Kriegsgräuel vermittelt Kontrollpunkt auf schaurig-komische Weise ein Gefühl von der Sinnlosigkeit des Krieges, der Verlorenheit des Einzelnen und der Entmenschlichung der Gesellschaft.

Impressum
    Das ist die E-Book-Ausgabe des im Jahr 2013 im Verlag Schöffling & Co. erschienenen Buchs.

© der deutschen Ausgabe:
Schöffling & Co. Verlagsbuchhandlung GmbH,
Frankfurt am Main 2013
Originaltitel: Kontrolni punkt Originalverlag: Stubovi kulture, Belgrad
Copyright © David Albahari 2010
Alle Rechte vorbehalten
E-Book-Konvertierung: Fotosatz Amann, Aichstetten
ISBN 978-3-7317-6004-7

    www.schoeffling.de

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