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Kontrollpunkt

Kontrollpunkt

Titel: Kontrollpunkt
Autoren: David Albahari
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beiden allein, sie ist dein und mein, oder wenn man so will, dein oder mein. Was für einen gewaltigen Unterschied ein so kleines Wort macht, nicht wahr? Er kniff hinterhältig die Augen zu, was er früher nie getan hatte und was unseren Kommandanten erschaudern ließ. Aber auch da war nichts vorhersehbar, obwohl der Kommandant dachte, jetzt käme doch die Stunde der endgültigen Abrechnung. Die kam auch prompt und trug in der Tat zur weiteren Entwicklung der Ereignisse bei. Mladen war inzwischen aufgestanden, er versuchte, seine Uniform zu putzen und in Ordnung zu bringen, danach zog er aus einem bestickten Futteral ein langes, blinkendes Messer und bedeutete mit gekrümmtem Zeigefinger dem Kommandanten, näher zu kommen. Was ist das denn, dachte der Kommandant, eine Horrorversion der Ereignisse, die sich soeben abgespielt hatten, oder ein echtes Spiel des Schicksals, in dem ein Vegetarier zum Fleischesser wird und dann zum Kannibalen avanciert? Er wusste, all dies waren vielleicht nur Symbole, Finten, fromme Lügen und Versprechungen, nichts musste konkret, verbindlich, real sein. Mladen indes fuchtelte mit einem realen Messer, mit einer scharfen Klinge herum, und es bestand kein Zweifel, dass die mit dieser Waffe zugefügten Wunden genauso real wären. Der Kommandant hatte kein Messer bei sich, sondern nur den kleinen Spaten, den er vergessen hatte vom Gürtel abzunehmen. Den ergriff er schnell und wehrte mit ihm den ersten Angriff Mladens ab. Die ganze Zeit versuchte er dahinterzukommen, woran ihn das Ganze erinnerte, und am Ende fielen ihm jene Filme ein, in denen sich mehrere Genres mischen, die zum Beispiel bis zur Hälfte ein Krimi sind und sich dann, wenn eine Uhr Mitternacht schlägt, in eine Saga über Vampire und lebende Tote verwandeln. Am liebsten hätte er den kleinen Spaten weggeworfen, den er schwer atmend vor sich hielt, aber zunächst müsste Mladen sein Messer fallen lassen oder es in das bestickte Futteral zurückstecken, doch der zeigte nicht die geringste Absicht, es zu tun. Im Gegenteil, er ging langsam auf die Menschen zu, die in der Schlange standen, um einen Fahrschein nach Neue Welt zu kaufen. Nach Novi Sad?, fragte der Beamte am Schalter des Busbahnhofs, und der Kommandant war gezwungen, sanft, aber selbstbewusst zu wiederholen: Neue Welt. Ich sehe da keinen Unterschied, sagte der Mann und zog den Vorhang zu. Und was jetzt?, fragte der Kommandant, worauf Mladen entgegnete: Jetzt kämpfen wir!, und sich mit einem wilden Schrei auf den Kommandanten stürzte. Die Leute, die bis dahin ruhig in der Schlange gewartet hatten, suchten kreischend und schimpfend das Weite, während der Kommandant und Mladen stehen blieben, um sie durchzulassen. Der Kommandant hörte nicht auf, sich zu fragen, wieso diese Menschen Busfahrscheine mitten im Wald kaufen wollten, wo keine Buslinie vorbeiführte. Damit liegst du aber falsch, brüllte Mladen und warf sich wieder wie ein wildes Tier auf den Kommandanten, der mehr Glück als Verstand hatte. Er hatte nämlich einen Augenblick lang eine Szene auf der Straße beobachtet, und das hätte sein Ende sein können. So aber ging nur sein Hemd kaputt. Mladen hatte mit dem Messer genau auf ihn gezielt, aber das weite flatternde Hemd kam ihm in die Quere und rettete damit dem Kommandanten das Leben. Der Kommandant schüttelte den Kopf, um die unerwünschten Gedanken über die Busse nach Novi Sad oder Neue Welt, egal, zu verscheuchen. Der misslungene Hieb brachte Mladen aus dem Gleichgewicht, und als ihm auch noch das Messer aus der Hand fiel, geriet er in eine ausweglose Situation, sogar sein weißer Hals leuchtete auf, als wolle er den Glanz des Messers herausfordern. Jetzt, hörte der Kommandant eine unbekannte Stimme klar und deutlich sagen, jetzt ist die Zeit gekommen, dass du das Messer nimmst. Beim nächstes Mal ist es zu spät. Vielleicht gibt es auch kein nächstes Mal, fügte eine andere, viel leisere Stimme hinzu. Der Kommandant betrachtete zuerst seine Hände, dann die seines Gegners. Dieser war dabei, sein Gleichgewicht allmählich wiederzugewinnen, das merkte man an seiner Konzentration, an den zusammengezogenen Augenbrauen, an der zwischen den Lippen hervorlugenden Zungenspitze. Der Kommandant ließ das Messer hoch und nieder sausen, hoch und nieder, ohne Unterlass, solange er spürte, dass es sich in etwas Reales, in etwas Konkretes bohrte, in etwas, woraus Blut floss. Alle, die am Tisch saßen, hatten blutverschmierte Lippen und viele Blutspritzer auf
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