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Kontrollpunkt

Kontrollpunkt

Titel: Kontrollpunkt
Autoren: David Albahari
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Rucksack unter der schmutzigen Wäsche, wo er praktisch nicht drankam, vor allem jetzt nicht, da die Kompanie jeden Augenblick losmarschieren sollte. Der Kommandant schlug sich mit der Hand an die Stirn, schon wieder hatte er vergessen, dass die Kompanie nicht mehr existierte, dass er ganz allein geblieben war. Er blickte zum Himmel und sah, dass die Sonne dabei war unterzugehen. Wie aus einer Tube wurde die Nacht herausgepresst, in deren Schutz der Kommandant versuchen wollte, die letzten Kilometer zurückzulegen, die ihn von seinem Zuhause trennten. Anfangs erschien ihm diese Strecke als der schwierigste Abschnitt des ganzen Plans, zumal sich der Eingang seines Hauses direkt gegenüber der Grenzstation eines anderen Staates, sozusagen auf freiem Feld befand, das die Soldaten im Laufschritt hätten überqueren müssen, in der Hoffnung, dabei keine feindliche Kugel abzubekommen. Doch nun war er allein, und er wusste nicht, ob das für ihn besser oder vielleicht sogar schlechter war. Wahrscheinlich schlechter, denn je geringer die Zahl derer, die hinüber müssen, umso stärker schießt man sich auf sie ein. Mit anderen Worten, sollte der Kommandant es wagen, das Schussfeld allein zu überqueren, musste er damit rechnen, dass alle Diensttuenden der feindlichen Grenzstation die Läufe ihrer Waffen auf ihn richten würden. Der Kommandant machte sich jedoch nicht allzu viele Sorgen, er war noch immer überzeugt, dass er unter einem glücklichen Stern geboren war, der ihn, wie schon oft, auch dieses Mal schützen würde. Er schulterte den Rucksack, ließ seinen Blick über den Hang gleiten und dachte wieder an den Tag der Ankunft zurück. Er sah sich an der Spitze der Kompanie, die Soldaten fröhlich plaudernd, während sie sich der Stelle näherten, wo sie den Kontrollpunkt übernehmen sollten, den zuvor die Verbündeten gehalten hatten. Alles, was dem gefolgt war, musste der Kommandant sich eingestehen, war nur eine improvisierte und endlose Frustration gewesen. Wer brauchte diesen Kontrollpunkt, und was wurde da eigentlich kontrolliert? Als er diese Frage dem Oberst stellte, der ihm den Befehl aus dem Hauptquartier überbrachte, meinte dieser, der Kommandant müsse solche Probleme je nach Lage der Dinge lösen. Schließlich, sagte der Oberst, sei der Kontrollpunkt in beide Richtungen passierbar, immer werde jemand von der einen auf die andere Seite überwechseln wollen, was bedeute, fügte er hinzu, dass diejenigen, die ihn zu überwachen hätten, immer etwas zu tun haben würden. Aber, wagte der Kommandant einzuwerfen, solle das heißen, dass unsere Position in diesem Konflikt nicht eindeutig bleibe, beziehungsweise dass wir alte Bündnisse aufkündigen und neue schließen würden? Da wurde der Oberst ernst und sagte, von ihm habe der Kommandant nichts Derartiges vernommen. Er – also: der Oberst – sei nur der Überbringer der Information, ein Bote, eine Schraube in einem kompli zierten Mechanismus, mehr nicht. Wenn der nur eine Schraube war, dachte der Kommandant jetzt, was solle erst er – also: der Kommandant – von sich sagen? Er sei nicht einmal eine Schraube, bestenfalls ein Schräubchen oder noch weniger, ein klitzekleines Schräubchen und ein elendes dazu, wenn man bedenke, dass er allein heimkehre, ohne einen einzigen Soldaten, ja sogar ohne den Koch. Er betonte jedoch gleich, dass die Geschichte des Kochs außerordentlich interessant sei und er sie deshalb für eine bessere Gelegenheit aufsparen wolle, denn die Heldentaten des Kochs, fügte er hinzu, hätten das zweifellos verdient. Zuvor aber wollte der Kommandant das Militärarchiv aufsuchen, um nach Möglichkeit herauszufinden, was mit verschiedenen Bündnisverträgen und Protokollen über die Kooperation geschehen sei, denn allein so war vielleicht zu erfahren, wieso seine für die Bewachung des weit und breit einzigen Kontrollpunkts verantwortliche Einheit ständig dem Angriff gegnerischer Kräfte ausgesetzt war, selbst dann, wenn die Gegner noch bis gestern ihre Verbündete gewesen waren. Während er die Ereignisse der letzten Wochen Revue passieren ließ, kam dem Kommandanten immer öfter der Gedanke, dass die ganze Kompanie, natürlich ohne sein Wissen, vielleicht Teil eines grausamen Experiments gewesen war, dass sie geopfert wurde, um neue Einblicke in die Struktur der Kriegsführung zu gewinnen, was mit anderen Worten bedeutete, dass niemand schuld war an dem, was den Soldaten und dem Kommandanten zugestoßen war. Ein grausamer, aber
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