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Kontrollpunkt

Kontrollpunkt

Titel: Kontrollpunkt
Autoren: David Albahari
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knirscht es am meisten, pflegte er zu sagen. Und so bewachten wir weiter den Kontrollpunkt, an dem niemand kontrolliert wurde, und beobachteten durch Ferngläser die Landschaft, in der nie ein Mensch auftauchte. Gab es überhaupt irgendwo noch Krieg, so wussten wir es nicht. Keine Schüsse, kein Kugelpfeifen, keine Bombenexplosionen oder Hubschraubergeräusche erreichten uns. Was, wenn der Krieg schon zu Ende ist, fragten wir eines Morgens unseren Kommandanten, sollten wir dann nicht nach Hause gehen? Der Kommandant ließ sich nicht erweichen: Wir gehen nach Hause, wenn man uns befiehlt, nach Hause zu gehen. Bis dahin harren wir hier aus. Die Soldaten erregten sich, sprangen auf und riefen: Nach Hause, wir wollen nach Hause! Der Kommandant versuchte, sie zu beruhigen, aber es gelang ihm nicht. Eine aufrührerische Menge ist eben eine aufrührerische Menge, egal ob sie aus Zivilisten oder Soldaten besteht. Keiner wollte auf den Kommandanten hören, und so musste er schließlich zu einem unbeliebten, aber wirksamen Mittel greifen, nämlich zur Pistole. Er hielt sie in die Höhe und brüllte, er würde schießen, wenn nicht alle sofort ruhig seien und auf ihre Plätze zurückkehrten. Da ertönte ein Schuss. Der Kommandant sah verdutzt auf seine Pistole, aber der Schuss war nicht aus ihr gekommen, sondern aus dem Gewehr eines der Wachposten. Der meldete dem Kommandanten mit zittriger Stimme, er habe geschossen, weil er meinte, ein Mann in einem grünen Tarnanzug würde als Erster auf ihn schießen. Da gibt es nichts zu meinen, herrschte der Kommandant ihn an, hat er geschossen oder nicht? Er hat gezielt, sagte der Wachposten, aber ich war schneller. Der Kommandant schickte ein paar Soldaten zu der Stelle, wo sich der Mann mit dem grünen Tarnanzug befinden sollte. Im Laufschritt überquerten sie die Wiese und verschwanden im Gebüsch. Während wir warteten, dass sie wieder auftauchten, fragten wir uns, wen der Wachposten wohl gesehen haben mochte. Jemand sagte, vielleicht einen Bären, der zuvor einen Förster verschlungen habe, und alle lachten. Bald darauf kam der Aufklärungstrupp aus dem Gebüsch zurück. Die Soldaten hatten etwas Grünes in den Händen, es entpuppte sich als der Rest eines zerrissenen Tarnanzugs. Nirgendwo aber, sagten die Männer des Aufklärungstrupps, seien sie auf etwas gestoßen, was darauf hinwies, dass das dreckige und zerknitterte Stück Stoff das war, was unser Wachposten angeblich gesehen hatte. Nirgendwo, betonten sie, habe es Spuren von Menschen gegeben, lediglich Abdrücke von Pfoten und von Vogelkrallen seien zu sehen gewesen. Sollte das heißen, dass der Wachposten nichts gesehen hatte? Der Kommandant antwortete nicht. Er verkündete das Ende des Alarms und befahl uns anschließend zum Appell. Wir traten in Reih und Glied an und hörten, während die Sonne auf unsere Nacken brannte, die warnenden Worte des Kommandanten, wir sollten Ruhe bewahren, wenn wir es mit unserem Feind aufnehmen wollten. Wir wussten zwar nicht, wer unser Feind war, aber im Krieg ist es ein Leichtes, sowohl Verbündete zu gewinnen als auch Gegner zu finden. Wir wandten uns wieder unseren Aufgaben zu, zumindest die von uns, die eine Aufgabe hatten, oder kehrten zu Freizeitaktivitäten zurück, und bald hörte man jemanden Mundharmonika spielen. Die Küchengehilfen kamen mit der Nachricht, dass es zum Abendessen Gulasch gebe, sie ließen sogar etwas von einem Nachtisch verlauten, was bei den Soldaten Begeisterung auslöste und sie den Ernst der Lage vergessen ließ. Der Ernst zeigte jedoch seine Fratze im Befehl des Kommandanten, an den kommenden Tagen oder genauer an den Abenden das Licht nur bei allergrößter Not anzumachen und die abendlichen Tätigkeiten wie Stiefelputzen, Waffenreinigen und Verweilen an der frischen Luft auf ein Minimum zu reduzieren oder auf den Tag zu verlegen. Es hieß auch, das Rauchen sei in geschlossenen Räumen nicht erlaubt, sondern nur in drei Meter Entfernung von Objekten, in denen sich Menschen aufhielten. Übrigens war der Kontrollpunkt kein neues Objekt, ebenso wenig wie die Baracke, in der wir untergebracht waren und die aus zwei Mannschaftsstuben, einem Vortragsraum, dem Bad, der Küche und einem kleinen Zimmer für den Kommandanten bestand. In der Nähe der Baracke gab es auch zwei Klos; zusammengezimmert aus rohen Brettern und voller Fliegen und Spinnen, waren sie wer weiß wovon übrig geb lieben. In einem der beiden entdeckte man am nächsten Morgen einen getöteten
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