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Kontrollpunkt

Kontrollpunkt

Titel: Kontrollpunkt
Autoren: David Albahari
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Wachposten. Die ihn fanden, berichteten, dass er da saß mit heruntergelassener Hose und mit einer großen Wunde am Hals. Sein Gewehr stand in der Ecke, und alles war voller Blut. Als der Kommandant ihn sah, stieß er leise einen Fluch aus, drehte sich um und verschwand in seinem Büro. Wir blieben draußen stehen und unterhielten uns im Flüsterton miteinander. Die Sonne stieg am Himmel hoch, es wurde immer wärmer. Um das Klo herum schwirrten Fliegen. Sie hingen in großen Trauben in der Luft, und der tote Wachposten glich bald einer schwarzen Mumie. Schließlich kam der Kommandant wieder heraus, und als er zu uns sprach, bemerkten wir, dass er eine Alkoholfahne hatte. Er befahl zwei Männern, ein Loch zu graben, aber andere Soldaten halfen mit, und bald war das Grab fertig. Der Priester, rief der Kommandant, wo steckt der Priester? Er meinte den Soldaten, der nach drei Jahren Theologie auf Physik und Chemie umgesattelt hatte. Der Kommandant befahl vier Soldaten, die Leiche zu holen. Sie brachten sie bald auf der ausgehobenen Klotür herbei, hinter ihnen tanzten Schwärme von Fliegen. Aber nur kurz, sagte der Kommandant, ganz kurz. Der »Priester« murmelte Gebete und sang, der getötete Wachposten wurde in das Loch gelegt, mit den kleinen Soldatenspaten wurde schnell Erde daraufgeworfen, und im Handumdrehen war da ein Grabhügel aus schwarzer, fetter Erde. Erst später dachte jemand daran, ein improvisiertes Kreuz hineinzustecken, man erfuhr aber nie, wer das getan hatte. Man erfuhr auch nie, wer der Mörder war, denn nach den ersten Theorien über rachedurstige Waldmänner, die in den Baumkronen hockend darauf warteten, dass uns der Schlaf übermannte, um sich heranzupirschen und einen von uns zu töten, stellte sich die Frage, die zwar keiner aussprach, die sich aber jedem als reale Möglichkeit aufdrängte: Was, wenn es jemand von uns war? Man weiß nicht, wem sich diese Frage zuerst stellte, aber man konnte deutlich verfolgen, wie sie von einem Soldaten zum anderen wanderte und auf jedem Gesicht das gleiche Maß an Verblüffung auslöste. Abends wehrten sich die Soldaten lange gegen den Schlaf, weil sie befürchteten, dass, wenn der Mörder einer von ihnen war, jeder das nächste Opfer sein könnte. Sie sanken in den verschiedensten Positionen in Schlaf, auf dem Boden neben dem Bett, ans Fenster gelehnt, vor der Tür mit einer Zigarette zwischen den Fingern, bis der Kommandant wütend wurde und verkündete, er werde das Rauchen völlig verbieten. Aber auch ohne seine Drohung war es mit dem Rauchen bald vorbei. Diejenigen, die noch einige Packungen Zigaretten in Reserve hatten, versteckten sie ängstlich vor den anderen, aber da es keine Möglichkeit gab, neue zu kaufen, sahen alle demselben Schicksal entgegen. Vielleicht begann man aus dieser Sorge heraus darüber zu reden, dass man einen Ausweg aus dem Wald suchen müsse. Wir wollen doch nicht hier sitzen und darauf warten, dass man uns alle nacheinander abmurkst. Die Soldaten verlangten vom Kommandanten, etwas zu unternehmen, und dieser beschloss nach einer Beratung mit den ihm unterstehenden Offizieren, zwei Aufklärungstrupps zu bilden. Beide bestanden aus jeweils drei Soldaten, von denen einer mit einem leichten Maschinengewehr ausgerüstet war, während die anderen die üblichen Waffen und Handgranaten mit sich führten. Die Gruppenführer erhielten auch Signalpistolen, was angesichts der unterbrochenen Kommunikation die einzige Möglichkeit darstellte, in einem eventuellen Notfall ihre Position zu erkennen zu geben. Zuerst wollte der Kommandant Mladen einer der beiden Gruppen zuteilen, was auch die Soldaten erwartet hatten, doch dann meinte er, Mladen solle sich bereithalten, falls man einen Aufklärungstrupp oder beide würde suchen müssen. Am nächsten Morgen standen die Gruppen in aller Herrgottsfrühe in Reih und Glied am Kontrollpunkt, die eine auf der einen, die andere auf der anderen Seite der Schranke, hörten sich die Worte des Kommandanten an, salutierten und marschierten den Berg hinunter. Wie schon gesagt, die Entfernung zwischen der Schranke und der Stelle, wo der Weg eben wurde, war auf beiden Seiten gleich, so dass die beiden Trupps fast zur selben Zeit unten ankamen. Dort drehten sie sich um, winkten uns zu, setzten zügig ihren Weg fort und erreichten fast gleichzeitig die Kurve, die in den Wald führte. Als wir keinen der Kameraden mehr sahen, verfielen wir, die wir immer noch um die Schranke standen, in Schweigen. Als Erster sprach
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