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Kommissar Morry - Ich habe Angst

Kommissar Morry - Ich habe Angst

Titel: Kommissar Morry - Ich habe Angst
Autoren: Hans E. Koedelpeter
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durch den Türschlitz geschoben und dann geläutet. Ein ganz harmloses Ereignis also. Und dennoch brachte Henry Boswell seine Erregung nicht los. Der weiße Umschlag schwankte in seinen zitternden Händen auf und ab. Eine Adresse war in dem matten Zwielicht nicht zu erkennen. Jetzt endlich knipste Henry Boswell das Licht im Wohnzimmer an. Nervös drehte er das Kuvert hin und her. Es trug wirklich keine Anschrift. Kein Wort stand auf der dünnen Hülle. Und als Henry Boswell dann endlich den Brief aufriß, fiel ihm lediglich eine weiße Karte entgegen.
    „Kommissar Morry", stand da in zierlichen Druckbuchstaben zu lesen. „Kriminalkommissar."
    Die Rückseite der Karte war mit flüchtigen Schriftzeichen bedeckt. Anscheinend hatte der gefürchtete Kommissar diese Worte selbst geschrieben. Er mußte in größter Eile gewesen sein. Henry Boswell hob die Visitenkarte ganz nahe an seine Augen. Die Schrift flimmerte und zerfloß und tanzte hin und her. „Warum haben Sie kein Vertrauen zur Polizei?" murmelte er mit blutleeren Lippen. „Wir wollen Ihnen doch nur helfen. Kommen Sie morgen zu mir! Morry, Sonderdezernat, Scotland Yard."
    „No", keuchte Henry Boswell und zerriß die Karte in winzige Fetzen. „Ich werde nicht kommen. Ich kenne die Tricks der Polizei. Wenn ich erst im Yard bin, werden sie mich gleich dort behalten. Ich würde nie wieder die Freiheit sehen."
    Die Angst wurde auf einmal wieder übermächtig in ihm. Sie machte ihn zum Narren. Sie schlug ihn mit Blindheit. Er wußte kaum noch, was er tat. Weg von hier, das war sein einziger Gedanke. Der Tod ist immer noch besser als dieses verfluchte Leben. Es wird sich eine Möglichkeit finden. Der Bahndamm der Northern Railway ist nicht weit entfernt. Alle paar Minuten verkehrt dort ein Zug. Vielleicht ist es gar nicht so schlimm, wie die Leute immer behaupten. Es wird schnell vorüber sein. Hätte ihm jetzt ein vernünftiger Mensch zur Seite gestanden, so wäre Henry Boswell sicher von seinem törichten Vorhaben abzubringen gewesen. Aber er war ganz allein. Allein in den schweigsamen Zimmern seiner Wohnung. Und nur die Furcht begleitete ihn auf Schritt und Tritt. Er zog Hut und Mantel an und machte sich zum Weggehen fertig. Alles was er tat, geschah in fiebriger Eile. Er nahm Geld aus einer Kassette. Er
    steckte seine Papiere ein. Dann stürmte er wie ein Irrer aus der Wohnung. Er verließ das Haus durch die Hintertür. Er ging durch einen Hof und verdrückte sich scheu in eine enge Seitengasse. Der Weg, den er gehen wollte, lag frei vor ihm. Niemand hielt ihn zurück. Ich muß mir Mut antrinken, sinnierte Henry Boswell mit bleiernden Gedanken. Der Alkohol macht alles viel leichter. Nach zehn Gläsern Schnaps ist auch ein Feigling zum Aeußersten entschlossen. Er trat in die erste beste Kneipe ein. Es war eine Public Bar, die an der Flavis Road in Hollo- way lag. Durch die offene Tür schlugen ihm der Dunst und Schweiß zahlreicher Männer entgegen. Sie drängten sich vor der Theke und nahmen im Stehen ihre Gins und Brandys ein. In der Ecke plärrte ein Musikautomat. Im Raum nebenan klirrten die Billardkugeln. Henry Boswell verkroch sich in einen Winkel und trank dort einen Schnaps um den ändern. Der Ober betrachtete ihn mit schiefen Blicken. „Sind Sie krank, Sir?" fragte er mitleidig. „Sie sehen verdammt käsig aus. Man könnte glauben, Sie hätten monatelang im Hospital gelegen."
    „Mir fehlt nichts", murmelte Henry Boswell geistesabwesend. „Lassen Sie mich in Ruhe."
    Er bestellte sich eine Schachtel Zigaretten und qualmte sinnlos vor sich hin. In grauen Schwaden umnebelte ihn der Rauch. Ganze Wolken hingen unter der niedrigen Decke. Als er den achten Schnaps bringen mußte, machte der Kellner ein besorgtes Gesicht.
    „Sie haben's aber eilig, Sir", murmelte er kopfschüttelnd. „Warum hetzen Sie sich denn so? Wir schließen erst um elf Uhr. Sie haben noch über eine Stunde Zeit."
    „Ich glaube, fer hat Grillen im Kopf", mischte sich eine helle Stimme vom Nachbartisch ein. „Wäre vielleicht nicht schwer, sie zu vertreiben. Wie ist's, Sir? Wollen Sie mich nicht zu einem Drink einladen?"
    Henry Boswell wandte langsam den Kopf zur Seite. Er sah ein Mädchen von etwa zwanzig Jahren am nächsten Tisch sitzen. Sie war ein Dämchen, das erkannte man auf den ersten Blick. Aber sie sah nicht schlecht aus. Und sie würde sich für ein paar Schnäpse sicher sehr dankbar zeigen. Frauen von dieser Sorte sagten nie ,nein’ zu einem kleinen Abenteuer.
    „Na,
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