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Kommissar Morry - Ich habe Angst

Kommissar Morry - Ich habe Angst

Titel: Kommissar Morry - Ich habe Angst
Autoren: Hans E. Koedelpeter
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wie ist's, Sir?" fragte sie blinzelnd. „Kapieren Sie immer so langsam?"
    „Ach was", sagte Henry Boswell mit schwerer Zunge. „Ich habe das alles satt, verstehen Sie?
    Wenn ich eine Frau wollte, so wäre ich zu Hause geblieben. Kilda wird jetzt sicher schon in meiner Wohnung sein. Aber davon wissen Sie ja nichts. Es geht Sie auch gar nichts an."
    „Na, dann eben nicht", schmollte sie und wandte dem mürrischen Gast die Kehrseite zu.
    Kurz vor elf brachte der Ober den zwölften Schnaps und kassierte gleichzeitig.
    „Sperrstunde, Sir", brummte er geschäftsmäßig. „Wir schließen."
    Herny Boswell erhob sich taumelnd von seinem Stuhl. Er konnte nur noch mit äußerster Mühe gerade auf den Beinen stehen. Der Alkohol umnebelte sein Hirn. Der Ober, die Gäste, die ganze Kneipe verschwammen zu einem trüben Fleck.
    „Soll ich eine Taxe rufen, Sir?" rief ihm der Ober nach. Henjry Boswell hörte ihn nicht mehr. Er stand schon draußen. Er hielt sich an der Mauerwand fest. Die Straße schaukelte vor ihm auf und ab. Die Laternen drehten sich wie festlich erleuchtete Karussells. Eine Weile tappte Henry Boswell im Kreise herum, aber dann führte ihn ein seltsamer Instinkt zum Bahngelände hinunter. Er stieg die Stufen hinter einer Brücke hinab und geriet zwischen die blitzenden Schienen. Stumpfsinnig trottete er auf den Schwellen dahin. Eine ziemlich weite Strecke. Blaßgrün und dunkelrot tanzten die Lichter der Signale vor seinen Augen. Hinter der Arsenal Station, wo der Bahndamm nach beiden Seiten in steilen Böschungen abfiel, machte Henry Boswell halt. Hier wollte er warten. Das dichte Gebüsch entzog ihn den neugierigen Blicken der Streckengeher. Er verkroch sich zwischen den Sträuchern und zündete sich eine Zigarette an. Es ist die letzte dachte er. Vielleicht rauche ich sie nicht einmal zu Ende. Der nächste Zug muß jeden Moment kommen. Seine Gedanken wander- ten weiter. Sie liefen schwerfällig im Kreise. Der Alkohol lähmte sie. Das Hirn war leer und träge. Es wird sicher nicht weh tun, dachte er. Es ist nur der erste Schreck. Wenn erst die Räder über die Schienen donnern, ist es schon vorüber. Die Angst wird dann mit einem Schlage aufhören. Es gibt keine Furcht vor der Polizei mehr, vor der Verhaftung, vor dem Gefängnis. Das alles hört dann auf. Er warf jäh und ruckartig die Zigarette fort, als er zwei blinkende Lichter in der Ferne sah. Es waren die Positionslampen einer Lokomotive. Sie kam rasch näher. Unaufhaltsam näher.
    Die Schienen begannen leise zu singen. Dumpf klang das schwere Stampfen der Maschine durch die Nacht. In monotonem Singsang dröhnten die Räder. Ein schriller Heulpfiff der Lokomotive gellte auf. In diesem Moment taumelte Henry Boswell aus seinem Versteck auf. Er arbeitete sich die Böschung empor. Er duckte sich über die Schwellen. Jetzt mußte er sich nur noch auf die Schienen niederfallen lassen. Dann war alles getan. Zehn Sekunden noch! Noch fünf. Noch vier, drei, zwei, eine . . .
    Die Lokomotive raste auf ihn zu wie ein schwarzes Ungeheuer. Zischender Dampf sprühte nach beiden Seiten. Die riesigen Räder griffen nach ihm wie gierige Arme.
    Jetzt, dachte Henry Boswell. Jetzt! Das Donnern der Wagen und das Heulen des Zugwinds machte Henry Boswell verrückt. Eine kreischende Musik dröhnte in seinen Ohren. Ein geisterhafter Spuk narrte seine Augen. Die erleuchtete Zugschlange glitt an ihm vorüber. Zwei rote Schlußlichter baumelten vor seinen Augen. Das Getöse entfernte sich. Es wurde wieder still auf dem Bahndamm.
    „Ich bin ein Feigling", stieß Henry Boswell heiser durch die Zähne. „Ich bin zu feige, um den letzten Schritt zu tun. Ich kann das nicht. Und wenn ich bis morgen früh hier stehen bleibe, ich bin nicht fähig dazu." Jetzt erst merkte er, daß er an allen Gliedern zitterte. Dick und klebrig stand der Schweiß auf seinem Gesicht. Sein Atem ging keuchend wie der eines Schwerkranken. Hohlwangig, erschöpft und taumelnd wankte er die Böschung hinunter. Er ging ohne Ziel. Er wußte nicht mehr, wohin er sich wenden sollte. Sein Hirn konnte auf einmal überhaupt nicht mehr denken. Es versagte restlos den Dienst. Und dann führte ein lächerlicher Zufall Henry Boswell gerade am Gittermast einer Hochspannungsleitung vorbei. Er hob den Kopf und sah die dicken Drähte, die wie scharfe Striche durch den Nachthimmel liefen. Am Mast hing ein gelbes Schild. „Vorsicht! Hochspannung! Lebensgefahr!" stand darauf. Henry Boswell nickte geistesabwesend. Warum war er
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