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Kommissar Morry - Ich habe Angst

Kommissar Morry - Ich habe Angst

Titel: Kommissar Morry - Ich habe Angst
Autoren: Hans E. Koedelpeter
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sich ständig in der Nähe auf. Verwundert musterte sie den stummen Gast, der sie an einen Helden der Leinwand erinnerte. Sein Gesicht war männlich und kühn und besaß doch keine zu harten Züge. Die Augen blickten hell und furchtlos. Meist allerdings irrten sie geistesabwesend in die Ferne.
    „Haben Sie noch Wünsche, Sir?" fragte die Bedienung mit kokettem Unterton. Sie war Männer wie Jack Havard nicht gewöhnt. In ihrer Espresso Bar verkehrten meist nur Frauen und naschsüchtige Mädchen. Ab und zu war auch einmal ein solider Familienvater dabei. Aber ein Mann wie Jack Havard hatte sich noch nie hierher verirrt.
    Wie schade, daß er schon ging, als die Dämmerung hereingebrochen war. Er zahlte, erhob sich und ging der Tür zu.
    „Auf Wiedersehen, Sir!" rief ihm die Bedienung eifrig nach. „Beehren Sie uns bald wieder!"
    Jack Havard stand schon draußen auf der Straße. Er überlegte gerade, wohin er nun gehen sollte. Vor einem modernen Kinopalast blieb er stehen und blickte flüchtig auf die grellen Plakate. Der Film interessierte ihn nicht besonders, aber er löste dennoch eine Karte. Ich brauche Zerstreuung, überlegte er. Ich muß auf andere Gedanken kommen. Henry ist tot. Daran läßt sich nichts mehr ändern. Kein Mensch kann "ihm jetzt noch helfen. Die Vorstellung dauerte genau zwei Stunden. Kurz nach neun Uhr stand Jack Havard wieder auf der Straße. Er griff in seine Tasche, um nach ein paar Münzen für den Bus zu suchen. Seine Finger ertasteten dabei den klirrenden Schlüsselbund. Jack Havard nahm die Schlüssel heraus und legte sie auf die geöffnete Handfläche. Er betrachtete sie, als sähe er sie zum ersten Mal. Seine Gedanken liefen unruhig hin und her. Der kleine Schlüssel, der genau in der Mitte seines Handtellers lag, öffnete die Tür zur Wohnung Henry Boswells. Früher hatte er ihn öfter gebraucht, wenn er mit Henry gemeinsame Pläne hatte besprechen wollen. In der letzten Zeit allerdings war er kaum noch in die Junggesellenwohnung nach Highbury gekommen. Henry hatte es vorgezogen, seine gefährlichen Wege allein zu gehen.
    Ob er nicht wenigstens einen Abschiedsbrief für mich hinterlassen hat, sinnierte Jack Havard. Ein Mensch, der freiwillig aus dem Leben scheidet, schreibt meist noch die Beweggründe für seine Tat und ein paar letzte Grüße nieder. Sicher hat das auch Henry getan. Ich werde sofort nachsehen. Er nahm den nächsten Autobus nach Highbury und stieg an der U-Bahn-Station aus. Es war längst völlig dunkel geworden. Die Straßenbäume rauschten im Herbstwind. Ein scharfer Sprühregen fegte von Norden her. Es war verdammt ungemütlich auf den Straßen. Jack Havard ging rasch auf die Wohnung Henry Boswells zu, die am Highbury Place gelegen war. Die Haustür war schon versperrt. Er drückte auf die Glocke des Hausmeisters. Die Tür öffnete sich mit leisem Summen. Jack Havard stieg vier Treppen empor, nahm wieder den Schlüsselbund aus der Tasche und sperrte auf. Er tat es völlig geräuschlos, als wollte er die Ruhe des Toten nicht stören. Er machte auch kein Licht im Flur. Er stand da und sog die trockene Luft des Korridors in sich ein. Vom Treppenhaus fiel ein mattes Zwielicht durch die verglaste Tür herein. Der matte Dämmerschein genügte Jack Havard, um seinen Weg zu finden. Er tappte leise auf das Wohnzimmer zu. Aber schon im nächsten Moment blieb er ruckartig stehen. Mit einem Schlag wurde ihm bewußt, daß er nicht allein in der Wohnung war. Durch die Tür des Wohnzimmers klangen leise Geräusche. Das Sofa knarrte. Ein Blatt Papier raschelte. Ein unterdrücktes Hüsteln schloß sich an. Dann war wieder Stille. Seltsam, dachte Jack Havard nervös. Sehr merkwürdig. Wer besitzt denn außer mir noch Schlüssel zu dieser Wohnung? Sollte es ein Freund von Henry sein? Oder eine seiner zahlreichen Bräute? Er machte einen raschen Schritt auf die Tür zu, dann riß er sie unvermittelt auf. Hastig trat er über die Schwelle. Das helle Licht der Deckenlampe blendete ihn. Er blinzelte unsicher mit den Augen. Auf dem grünen Polstersofa saß eine junge Dame und blickte ihm forschend entgegen. Sie hatte den Herbstmantel halb geöffnet und eine verführerische Pose eingenommen.
    „Ich bin Esther Harras", sagte sie mit betörend dunkler Stimme. „Wir haben uns bisher noch gar nicht getroffen, Mr. Boswell. Seltsam eigentlich, nicht wahr?"
    Jack Havard stand da und rührte sich nicht von der Stelle. Sie hält mich für Henry, dachte er blitzschnell. Sie weiß noch gar nicht,
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