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Die Gedichte

Die Gedichte

Titel: Die Gedichte
Autoren: Rainer Maria Rilke
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FÜR EUEREN TRAUUNGS-TAG
〈An die Eltern, zum 24. Mai 1884〉

    Ein hoher Festtag ist gekommen,
ein klein’ Papier hab ich genommen.
Drauf schreib ich all die Wünsche Dir
in Dichter-Form, erlaub’ es mir.
Fortuna soll dich stets begleiten
von nahe oder auch von weiten.
Das Glück geleit Euch überall
dies ruft Euch zu der Hannibal. *
Nun lebe wohl mit Gottes Segen,
er schütze Euch auf allen Wegen.
Euer Leben sei nur Glück
auf Unglück denket nie zurück
nie! nie! nie!
Nun lebet wohl ich sag Ade
und hoffe Euch tut nichts mehr weh
Ade Ade
Euer Euch innig liebender Sohn
René

    〈AN DIE MUTTER〉
〈Zu ihrem Geburtstage am 4. Mai 1889〉

    Liebste Mama!
    Es naht ein Tag durch goldne Tore,
ein Tag der Freude und des Glücks.
Zur Feder greif ich rasch,
begeistert von Genien des Augenblicks. –
Und golden prangt in reichen Blüten
die schöne, große, weite Welt
zur hohen Ehr dem schönen Feste,
das lächelnd seinen Einzug hält!
Zu Deinem Wiegenfest das heut erschienen
das Beste, was ein Mensch im Busen trägt,
und alles Hohe, alles edle Schöne,
wofür ein freies Menschenherze schlägt.
Vom reichsten Wunsche ganz durchdrungen
fleh ich zum höchsten Vater hin
und hoffe, daß aus meinen Bitten
der höchste Segen mög erblühn!
Herr! schick von deinem höchsten Throne,
der stolz sich in die Wolken baut,
Zufriedenheit dem Erdensohne
der tränenvoll zum Himmel schaut!
Ich fleh: »Oh Herr! laß lang noch glücklich sein
und schenke Glück und Frieden
dem vielgeliebten, teuren Mütterlein. «
Der Himmel wird den Wunsch erhören,
den fromm ein kleines Herze spricht,
des Kindes Wünsche streng verwehren
kann der barmherz’ge Vater nicht!
So sprech ich hoffend voll Vertrauen,
kann fest auf Gottes Hilfe bauen,
denn wer, so sagt ein hohes Wort,
in Freud und Leid auf Gott vertraut,
hat wahrlich nicht auf Sand gebaut!

    Mag Dich auch jetzt noch mancher Kummer drücken,
ich sag es Dir mit freudigem Entzücken:
Ich seh nicht fern ein tröstend Bild,
hoch fliegen seh ich Deines Schicksals Sterne,
und meine schönsten Träume sind erfüllt!
Und nun dem hohen Wiegenfeste
ein Wort zu sagen hab ich noch:
Hoch möge der Geburtstag leben,
hoch, immer höher, ewig hoch!
Hoch! Hoch! Hoch!

    〈AN DIE MUTTER〉
〈Zu ihrem Geburtstage am 4. Mai 1890〉

    Hoch!
    dem Geburtsfeste.
    Wünsche, die im Herzensgrunde
längst getagt im Sonnenschein,
tönen nun aus meinem Munde,
teures Herz, Dich zu erfreun.
Des Vertumnus reiche Gaben
aus Fortunas goldnem Horn
sollen Dich in Segen laben
als ein unerschöpflich Born.
Freude winke Dir entgegen,
Freude kehr Dir stets zurück,
wo Du gehst auf allen Wegen
blühe Dir das reinste Glück.
Lange noch in Glück und Frieden
fliehe Dir die schnelle Zeit,
sei das Höchste Dir beschieden:
»Himmlische Zufriedenheit«.
Freude mög Dich stets begleiten,
Liebe soll dein Führer sein,
Treue Dir den Weg bereiten,
überall Dich zu erfreun! –
Höre meiner Wünsche Worte,
höre sie geduldig an;
denn sie haben Dir die Pforte
Deines Glückes aufgetan.
Einfach zwar die Worte klingen,
schmucklos ohne Zier und Glanz,
doch weil sie dem Herz entspringen,
ist gar blumenreich ihr Kranz.
Nun will ich nicht weiter keuchen,
sonst hörst Du mich gar nicht an:
»’s ist ein Lied, das Stein’ erweichen,
Menschen rasend machen kann«.
Doch ich wünsch Dir ja das Beste,
höre nur mein Flehen an;
zu dem hohen Wiegenfeste
was nur geht hab ich getan!
Nun, ein Leben solls heut werden
wie in des Olympos Höhn,
wie bisher auf unsrer Erden
noch kein Sterblicher gesehn.
Doch etwas muß ich Dir noch sagen,
eh ich die Zeilen Dir übergieb,
Du brauchst nicht weiter zu erfragen:
Kannst’s glauben, hab Dich riesig lieb.
    Hoch! Hoch! Hoch!

    〈AN DEN VATER〉
〈Zu seinem Geburtstage, dem 25. September 1891〉

    Teuerster Papa!
    Zu diesem Feste sieh mich vor Dich treten,
der Du von meiner ersten Stunde an
für mich gesorgt, in Freude und in Nöten,
laß mich recht herzens-innig für Dich beten
zu dem, der alles Gute senden kann!
    Ein Lenz des Schaffens sei Dein ganzes Leben
allüberall der strengen Pflicht geweiht –
in stetem Fleiße unermüdlich weben,
das läßt den Geist zu goldnen Höhen schweben,
    macht ihn erhaben über Raum und Zeit.

    Und dennoch siehst du klar in all die Tänze
des leichten Lebens offnen Blicks hinein:
Die Menschheit freuet sich der muntern Lenze,
da forsche wohl, wie sehr ein Ding oft glänze,
    ob etwas berget dieser äußre Schein?

    Du ließest mir so manches Edle lehren,
führst mich den Weg zur Wissenschaft
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