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Die Gedichte

Die Gedichte

Titel: Die Gedichte
Autoren: Rainer Maria Rilke
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passen.
Hier, dies alte Haus darf fassen
reiche, weite Steinterrassen,
    kleine, heimliche Balkone.

    Und die weitgewölbten Decken,
die so günstig sind den Lauten,
Nischen rings, die eingebauten,
draus die Arme sich der trauten
    Dämmrung dir entgegenstrecken.

    Alle Mauern breiter, stärker
und aus echten Quaderkernen; –
traun, das Gruseln könnt ich lernen,
seh ich auf die Zinskasernen
    aus dem kleinen, stillen Erker.

    IM STÜBCHEN
(2)

    Traut ists, wenn verstohlen heulen
im Kamine wilde Winde,
in der Stube; ganz gelinde
tickt auf dem barocken Spinde
    fort die Stockuhr mit den Säulen.

    Dort, die kleine Silhouette
zeigt die alte Tracht der Locken,
tief im Fenster steht ein Rocken,
und vergeßne Töne stocken
    im verlassenen Spinette.

    Immer noch liegt die Postille,
daß an ihrem Geist erfrische
jung und alt sich, auf dem Tische,
und der Spruch ob jener Nische
    lautet: ›Es gescheh Dein Wille … ‹

    ZAUBER
(3)

    Oft seh ich die heimliche Stube belebt,
so lebhaft erzählen die Wände;
ein liebliches Mädchen, halb Kind noch, hebt
dort zu der Madonna die Hände.

    Ein tüchtiger Junge beim Vater steht,
der viel zu des Hauses Gewinn tat.
An huben sie flüsternd das Abendgebet,
und Mutter läßt ruhen das Spinnrad.

    Da deucht mich, es wird wohl das Auge naß
sogar der Madonne im Rahmen.
Ich lausche: – Laut von des Vaters Baß
ertönt das versöhnende: »Amen«.

    EIN ANDERES
(4)

    Naht der Sohn mit schwerem Schritt
seinem Vater. Schwer die Zunge …
»Wirklich, was, ein Bräutchen, Junge?!
Vorwärts, nur herein damit!«

    Und da steht zum ersten Mal
jetzt das Mädchen rot und stille;
und der Vater putzt die Brille:
»Teufel! Gut war deine Wahl!«

    Und er streckt die Arme aus,
und das Bräutchen nimmt verlegen
seinen Kuß und seinen Segen …
Davon weiß das alte Haus.

    NOCH EINES
(5)

    Auch dem blonden Kinde kam es
in sein Herz, sein waldseereines,
wie das dunkle Ahnen eines
großen Glückes oder Grames.

    Und die Mutter ließ das Rädchen
stocken. – »Kind, was macht dich leiden?«
Stürmisch schluchzend schwieg das Mädchen:
doch verstanden sich die beiden.

    Kurz darauf: Am Pförtchen pochte
junger Herr. – »Wollt ihr euch?« – Pause. –
Ob! – Wer da noch fragen mochte!? –
So geschahs im alten Hause.

    UND DAS LETZTE
(6)

    Still heut die Stube. – Weiß wie Kalk
ist Frauchens Antlitz. Müd und lustlos
ihr feuchtes Auge; halb bewußtlos
lehnt sie bei Vaters Katafalk.

    Zuseiten ihr der Gatte kann
sie trösten mehr in keiner Weise;
nun faßt er ihre Hände leise
und sieht sie ernst und bittend an.

    »Mein Mütterchen, nimm diesen Strauß!«
tönt türher hell das Wort des Kleinen;
da glimmt ein Lächeln durch ihr Weinen,
und Trost geht durch das alte Haus.

    IM ERKERSTÜBCHEN
(7)

    Nicht zu sehn das Alltagstreiben,
flieh ich – wie wenn ich ein Strauß wär –
in das alte, alte Haus her;
lang dann seh ich nicht hinaus mehr
    durch die breit verbleiten Scheiben.

    Schlichtheit war der Väter Aussaat,
Glück die Frucht, die sie gefunden;
sitz so träumend manche Stunden
dort im Polsterstuhl, im runden,
    mitten in Urväterhausrat.

    DER NOVEMBER TAG

    Kalter Herbst vermag den Tag zu knebeln,
seine tausend Jubelstimmen schweigen;
hoch vom Domturm wimmern gar so eigen
Sterbeglocken in Novembernebeln.

    Auf den nassen Dächern liegt verschlafen
weißes Dunstlicht; und mit kalten Händen
greift der Sturm in des Kamines Wänden
eines Totenkarmens Schlußoktaven.

    IM STRASSENKAPELLCHEN

    Bei St. Loretto da brennt ein Licht
vorm Bilde im Straßenkapellchen;
und um das Wandbild schmiegen sich dicht
Blechblumen mit farbigen Kelchen.

    Die Heiligen machen ein übel Gesicht;
denn der Sturmwind, der hastige Knab, hat
nicht Achtung für sie; bei Loretto das Licht
schaut fromm in den dämmernden Sabbat.

    DAS KLOSTER

    Im Dämmerdustgeschwel
ist schon die Stadt zerronnen,
hoch steht das Haus der Nonnen
des Ordens vom Karmel.

    Der Abend hüpft hangab
vorbei mit Feuergarben
und windet tausend Farben
um jeden Fensterstab.

    Er schmückt das düstre Haus
umsonst mit Lichtgeglänze:
so sehen frische Kränze
auf Leichensteinen aus.

    BEI DEN KAPUZINERN

    Es hat der Pater Guardian
vom Klosterschnaps mir angeboten;
ich kenn ihn schon, den dunkelroten,
der alle Toten wecken kann.

    Der Pater sucht den Schlüssel, klein,
dort, wo des Sacktuchs Zipfe blauten,
und holt den Schatz, den selbstgebrauten,
hervor aus dem Reliquienschrein.

    Und wie er einschenkt, lacht er feist
und spricht: »Zu Staub sind die
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