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Die Gedichte

Die Gedichte

Titel: Die Gedichte
Autoren: Rainer Maria Rilke
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er gewahr ward des Rivalen:
der Turmuhr helles Stundenblatt.

    ABEND

    Der Abend naht. – Die klare Zone
der Stirne schmückt ein goldner Reifen,
und tausend Schattenhände greifen
verstohlen nach der roten Krone.

    Die ersten, blassen Sterne liebeln
ihm zu; er steht hoch am Hradschine
und schaut mit ernster Träumermiene
die Türme und die grauen Giebeln.

    AUF DEM WOLSCHAN
    Am Abend des Tages von Allerseelen

    I
    Die dürren Äste übergittern
des Himmels abendblasse Scheiben;
und über Grüfte, reich mit Flittern
geschmückt, geht Wehmut, und es zittern
    die Lichter durch das Blättertreiben.

    Im müden Blau, im regungslosen,
schwimmt fern der Mond. Die Lebensbäume,
die seine blanke Stirne kosen,
sind schwarz. Der Duft von welken Rosen
    schleicht her wie Geister toter Träume.

    II
    Ferner Lärm vom Wagendamm. –
Hier keimt Friede und Vergessen,
zwischen zweien Grabzypressen
hangt der Mond wie ein Tam-Tam.

    Schlägt die Ewigkeit nicht sacht
jetzt daran mit schwarzem Schwengel?
Bange schaut ein Marmorengel
in das Aug der Spätherbstnacht.

    WINTER MORGEN

    Der Wasserfall ist eingefroren,
die Dohlen hocken hart am Teich.
Mein schönes Lieb hat rote Ohren
und sinnt auf einen Schelmenstreich.

    Die Sonne küßt uns. Traumverloren
schwimmt im Geäst ein Klang in Moll;
und wir gehn fürder, alle Poren
vom Kraftarom des Morgens voll.

    BRUNNEN

    Ganz verschollen ist die alte,
holde Brunnenpoesie,
da aus Tritons Muschelspalte
eine klare Quelle lallte,
    die den Gassen Sprache lieh.

    Abends bei dem Röhrenkasten
sammelte sich Paar um Paar,
weil der Quelle lieblich Glasten
und ihr Laut der tiefgefaßten
    Neigung süßes Omen war.

    Aber als durch Menschenmühn dann
Wasser treppenaufwärts stieg
und kein Paar kam: Misogyn dann
ward der Gott; es schlich sich Grünspan
    in die Muschel, – und er schwieg.

    SPHINX

    Sie fanden sie, den Schädel halb zerschlagen,
in starrer Hand das heiße Rohr von Stahl.
Die Menge gaffte. – Bis der Rettungswagen
sie brachte in das gelbe Stadtspital.

    Nur einmal hat das Aug sie aufgeschlagen …
Kein Brief, kein Name, nur ein Kleid, ein Schal;
dann kam der Arzt mit seinem leisen Fragen
und dann der Priester. – Sie blieb stumm und fahl.

    Doch spät bei Nacht, da wollt sie etwas sagen,
gestehn … Doch niemand hörte sie im Saal.
Ein Röcheln. – Dann ward sie herausgetragen,
sie und ihr Schmerz. –
    Und draußen steht kein Mal.

    TRÄUME

    Es kommt die Nacht, reich mit Geschmeiden
geschmückt des blauen Kleides Saum; –
sie reicht mir mild mit ihren beiden
Madonnenhänden einen Traum.

    Dann geht sie, ihre Pflicht zu üben,
hinfort die Stadt mit leisem Schritt
und nimmt, als Sold des Traumes, drüben
des kranken Kindes Seele mit.

    MAITAG

    Still! – Ich hör, wie an Geländen
leicht der Wind vorüberhüpft,
wie die Sonne Strahlenenden
an Syringendolden knüpft.

    Stille rings. Nur ein geblähter
Frosch hält eine Mückenjagd,
und ein Käfer schwimmt im Äther,
ein lebendiger Smaragd.

    Im Geäst spinnt Silberrhomben
Mutter Spinne Zoll um Zoll,
und von Blütenhekatomben
hat die Welt die Hände voll.

    KÖNIG ABEND

    Wie König Balthasar einst nahte,
die Stirn vom Kronenreif erhellt,
so tritt im purpurnen Ornate
der König Abend in die Welt.

    Der erste Stern führt ihn wie jenen
bis an den fernsten Hügelsaum;
dort findet Mutter Nacht er lehnen
mit ihrem Kind im Arm, dem Traum.

    Dem bringt er just wie jener Weise
des Orients das Gold, gehäuft, –
das Gold, das uns der Knabe leise
erlösend in den Schlummer träuft.

    AN DER ECKE

    Der Winter kommt und mit ihm meine Alte,
die an der Ecke stets Kastanien briet.
Ihr Antlitz schaut aus einer Tücherspalte
froh und gesund, ob Falte auch bei Falte
    seit vielen Jahren es durchzieht.

    Und tüchtig ist sie, ja, das will ich meinen;
die Tüten müssen rein sein, und das Licht
an ihrem Stand muß immer helle scheinen,
und von dem Ofen mit den krummen Beinen
    verlangt sie streng die heiße Pflicht.

    So trefflich schmort auch keine die Maroni.
Dabei bemerkt sie, wer des Weges zieht,
und alle kennt sie – bis zum Tramwaypony;
sie treibts ja Jahre schon, die alte Toni …
    Und leise summt ihr Herd sein Lied.

    HEILIGE

    Große Heilige und kleine
feiert jegliche Gemeine;
hölzern und von Steine feine,
große Heilige und kleine.

    Heilge Annen und Kathrinen,
die im Traum erschienen ihnen,
baun sie sich und dienen ihnen,
heilgen Annen und Kathrinen.

    Wenzel laß ich auch noch gelten,
weil sie selten ihn bestellten;
denn zu viele gelten
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