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Kolyma

Kolyma

Titel: Kolyma
Autoren: Tom Rob Smith
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Balken würden sie allerdings nach unten klettern können. Leo machte den Anfang und hoffte, dass die Besatzung des Panzers sie für tot hielt. Als er die eingestürzte Decke erreichte, sah er darunter die staubbedeckte Hand der Frau herausragen, die die Fahne herausgehängt hatte. Dafür hatte Leo jetzt keine Zeit, er suchte nach einem Ausweg. Die Treppe befand sich im hinteren Teil des Gebäudes. Leo zog an den Resten einer Tür und versuchte sich Zutritt zu verschaffen, doch sie war von Trümmern blockiert.
    Raisa befand sich auf der Vorderseite der zerstörten Wohnung und spähte hinunter auf die Hauptstraße. »Sie kommen hinten herum!«
    Der Panzer kehrte zurück. Jetzt saßen sie wirklich in der Falle. Nirgendwo konnten sie sich noch verstecken, nirgendwohin verschwinden.
    Mit aller Kraft versuchte Leo, ins Treppenhaus zu gelangen, ihrem einzigen Fluchtweg. Soja und Raisa halfen ihm. Malysch war verschwunden. Offensichtlich war er irgendwie geflohen, hatte sich selbst in Sicherheit gebracht - er war und blieb eben ein Krimineller. Leo warf einen Blick über die Schulter. Der Panzer brachte sich direkt vor dem Gebäude in Position für einen dritten Schuss. Er würde so lange weiterfeuern, bis alles in Schutt und Asche lag. Und sie selbst waren in einer ausgebombten Wohnung gefangen und kamen nicht auf die Treppe. Die einzige Chance, die ihnen noch blieb, war ein Sprung hinunter auf die Straße.
    Leo riss Soja und Raisa an sich und rannte mit ihnen genau auf den Panzer zu. An der Hausecke blieb er stehen. Jetzt sah er, dass Malysch schon vor ihnen aus dem zerstörten Gebäude auf die Straße geklettert war und die Aufmerksamkeit des Panzers auf sich lenkte. Er hielt eine Handgranate umklammert.
    Malysch zog den Sicherheitsbolzen und kletterte behände von vorn auf den Panzer. Sofort fuhr das Rohr des Panzers gen Himmel, damit Malysch nicht an die Mündung kam. Doch Malysch war zu flink und zu geschickt. Mit den Beinen umklammerte er das Kanonenrohr und schob sich hoch. Die Luke ging auf. Einer von der Besatzung wollte Malysch erschießen, bevor er die Handgranate ins Rohr fallen lassen konnte.
    Leo zog seine Waffe und feuerte auf den auftauchenden Soldaten. Die Kugeln prallten von der Panzerung ab, zwangen den Mann aber immerhin dazu, in Deckung zu gehen und die Luke wieder zu schließen. Malysch schaffte es bis zur Mündung, versenkte die Handgranate und ließ sich auf die Straße fallen.
    Im nächsten Moment detonierte die Handgranate und kurz darauf die im Rohr steckende Granate, die eine erheblich stärkere Explosion auslöste und den Panzer von innen erschütterte. Malysch wurde von den Beinen und auf die Straße geschleudert. Aus dem Panzer quoll Rauch. Keiner kam mehr hervor.
    Soja war inzwischen hinabgeklettert, rannte auf Malysch zu und half ihm auf. Sie strahlte. Nach ihr kletterte auch Leo hinunter und rannte Soja hinterher.
    »Wir müssen schleunigst von der Straße runter ...« Da erschien plötzlich mitten auf Malyschs Hemd ein blutroter Fleck.
    Leo ließ sich auf die Knie fallen, riss das Hemd auf und sah auf Malyschs Bauch einen daumenlangen Schnitt, eine klaffende Wunde. Er tastete den Rücken des Jungen ab, fand aber keine Austrittswunde.

    Am selben Tag

    Mit Malysch auf dem Arm, Raisa und Soja neben sich, rannte Leo in die Zweite Medizinische Klinik. Um das Krankenhaus zu erreichen, waren sie ohne Deckung die Straßen entlanggelaufen und hatten dabei die patrouillierenden Panzer in Kauf nehmen müssen. Mehrmals waren die Kanonenrohre ihnen gefolgt, aber keiner hatte gefeuert. Das Foyer der Klinik quoll über vor Verletzten. Einige stützten sich auf Freunde oder Familienangehörige, andere lagen einfach nur auf der Erde. Die Wände und der Boden waren blutbesudelt. Auf der Suche nach einer Schwester oder einem Arzt entdeckte Leo endlich einen vorbeieilenden weißen Kittel. Er drängte sich durch die Menge. Der Arzt war umringt von Patienten, keinem konnte er mehr als nur ein paar Sekunden seiner Zeit opfern. Er untersuchte die Wunden, bestimmte, wohin man sie zu bringen hatte, ließ aber nur die ernstesten Fälle ins Krankenhaus selbst hinein. Die anderen mussten in der Vorhalle bleiben.
    Im Kreis der anderen wartete Leo auf das Urteil des Arztes. Endlich wandte der sich Malysch zu, betastete sein Gesicht und befühlte seine Stirn. Der Junge atmete nur noch flach, seine Haut war blass. Leo hatte Malyschs Hemd gegen die Wunde gepresst, mittlerweile war es blutdurchtränkt. Der Arzt nahm es
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