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Kolyma

Kolyma

Titel: Kolyma
Autoren: Tom Rob Smith
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von dem Raum noch übrig war, lag unter schräg aufragenden Trümmern begraben. Hustend zog Leo sich das Hemd vors Gesicht, um nach den anderen sehen zu können.
    Raisa umklammerte einen zerbrochenen Balken und rammte ihn gegen die Tür. Leo half ihr, gemeinsam versuchten sie, die Tür aufzubrechen.
    »Hier lang!«, rief Malysch.
    Am Fuß der Innenwand war ein breiter Riss entstanden. Flach auf den Bauch gedrückt und jede Sekunde in Gefahr, dass das Dach endgültig einstürzte, krochen sie wie durch einen Tunnel aus den Trümmern und in den Flur. Es gab keine Wachen und auch keine wory. Die Wohnung war leer. Als sie die Balkontür zum Hof öffneten, sahen sie, wie die Bewohner des Hauses fluchtartig ihre Wohnungen verließen. Viele drängten sich unschlüssig zusammen, sie wussten nicht, ob sie sich auf die Straße wagen sollten oder es an Ort und Stelle nicht doch sicherer war.
    Wie der Blitz rannte Malysch noch einmal zurück.
    »Malysch!«, schrie Leo ihm hinterher.
    Als er wieder auftauchte, hatte Malysch einen Patronengürtel, Handgranaten und eine Pistole dabei. Kopfschüttelnd versuchte Raisa ihn zu entwaffnen. »Sie werden dich töten.«
    »Die töten uns sowieso.«
    »Ich will nicht, dass du dieses Zeug mitnimmst.«
    »Falls wir aus der Stadt rauskommen, werden wir die Sachen brauchen.«
    Raisa sah zu Leo.
    »Gib mir die Pistole«, sagte der.
    Zögernd reichte Malysch sie ihm. Eine Explosion ganz in der Nähe machte dem Streit ein Ende. »Wir haben nicht mehr viel Zeit.«
    Leo blickte hinauf in den dunklen Himmel. Als er das Dröhnen von Flugzeugmotoren hörte, scheuchte er die anderen hektisch zur Treppe. Von den wory war weit und breit nichts zu sehen. Leo vermutete, dass sie entweder kämpften oder geflohen waren. Am Fuß der Treppe angelangt, drängten sie sich durch die verängstigten Menschen in die Gasse hinein.
    »Maxim!«
    Leo drehte sich um und sah hinauf. Auf dem Dach stand Frajera, ein Maschinengewehr im Anschlag. Mitten im Hof saßen sie in der Falle. Sie würden es nie bis zur Gasse schaffen, bevor Frajera sie niedermähte.
    »Es ist vorbei, Frajera!«, rief Leo ihr zu. »Diesen Kampf konntest du von Anfang an nicht gewinnen!«
    »Ich habe ihn schon gewonnen, Maxim!«
    »Schau dich doch mal um!«
    »Nicht mit dem Gewehr! Hiermit!« Um ihren Hals hing eine Kamera.
    »Panin wollte von Anfang an die geballte Kraft seiner Armee einsetzen. Und ich wollte das auch. Ich will, dass er diese Stadt in Schutt und Asche legt und keinen am Leben lässt. Ich will, dass die ganze Welt sieht, was für ein Land wir in Wahrheit sind. Keine Geheimnisse mehr! Kein Mensch wird je wieder an die guten Absichten unseres Vaterlandes glauben. Das ist meine Rache.«
    »Lass uns gehen.«
    »Du hast es immer noch nicht verstanden, Maxim. Ich hätte dich schon hundertmal töten können. Aber wenn du am Leben bleibst, ist das eine größere Strafe als der Tod. Geht zurück nach Moskau, alle vier. Mit einem Sohn, der wegen Mordes gesucht wird, und voll der Liebe für eine Tochter, die dich hasst. Versucht ruhig, eine Familie zu sein.«
    Leo entfernte sich ein paar Schritte von den anderen. »Frajera, was ich dir angetan habe, tut mir leid.«
    »Ehrlich gesagt, Maxim ... bevor ich dich gehasst habe, war ich ein Nichts.«
    Leo wandte sich zur Gasse um und rechnete jeden Moment damit, eine Kugel in den Rücken zu bekommen. Doch es fiel kein Schuss. Als er den Ausgang zur Straße erreicht hatte, blieb er noch einmal stehen und drehte sich um. Frajera war verschwunden.

    Am selben Tag

    Die Hände mit Tischdecken umwickelt, um sich vor den Glasscherben zu schützen, lag Leo flach auf dem Bauch in den Trümmern eines verlassenen Cafes und wartete darauf, dass die Panzer vorbeifuhren. Vorsichtig hob er den Kopf und spähte durch das zerstörte Fenster. Insgesamt waren es drei Panzer, die ihre Türme hin- und herschwenkten und die Gebäude kontrollierten, auf der Suche nach feindlichen Zielen. Mittlerweile setzte die Rote Armee nicht mehr auf kleine Verbände mit den schwerfälligen und verwundbaren T-34-Panzern, sondern auf die größeren und schwer bewaffneten T-54. Nach allem zu urteilen, was Leo bislang beobachtet hatte, schienen die Sowjets eine neue Strategie zu verfolgen. Sie griffen in Stoßtrupps an und schlugen mit unverhältnismäßiger Wucht zurück. Auf einen einzigen gefallenen Schuss antworteten sie mit der Zerstörung eines ganzen Gebäudes. Die Panzer fuhren erst weiter, wenn sie alles verwüstet hatten.
    Weil sie
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