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Kolyma

Kolyma

Titel: Kolyma
Autoren: Tom Rob Smith
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abgehauen bist.«
    Aus dem Schatten trat Frajera.
    »Wir wollen zum Fest«, log Soja schlagfertig.
    »Und was ist in dem Bündel da?« Frajera schüttelte den Kopf.
    Malysch trat vor. »Du brauchst uns nicht mehr.«
    Und Soja fügte hinzu: »Du redest doch die ganze Zeit von Freiheit. Dann lass uns auch gehen.«
    Frajera nickte. »Freiheit muss man sich aber erkämpfen. Diese Chance gebe ich euch. Sobald Blut fließt, lasse ich euch beide gehen. Ein einziger Schnitt reicht, ein Pieks, nur ein Tröpfchen Blut.«
    Malysch blieb unsicher stehen.
    Frajera kam näher. »Ohne Messer wirst du mich kaum verletzen können.«
    Malysch zog sein Messer und schob gleichzeitig Soja hinter sich. Frajera kam noch näher. Sie war unbewaffnet. Malysch duckte sich angriffsbereit.
    »Malysch, ich dachte, du hättest es begriffen. Beziehungen machen einen schwach. Schau doch mal, wie nervös du bist. Und warum? Weil es um zu viel geht. Ihr Leben, dein Leben, euer Traum vom gemeinsamen Leben ... das macht dir Angst. Es macht dich verwundbar.«
    Malysch griff an. Mit einem Ausfallschritt wich Frajera der Klinge aus, packte sein Handgelenk und schlug ihm ins Gesicht. Er ging zu Boden.
    Sie stand über ihm, nun hatte sie sein Messer in der Hand. »Du bist eine große Enttäuschung für mich.«

    * * *

    Leo drehte den Kopf zur Tür. Malysch kam als Erster herein, gefolgt von Soja, der ein Messer an den Hals gedrückt wurde. Frajera ließ die Klinge sinken und stieß Soja hinein. »Freut euch nicht zu früh. Ich habe sie erwischt, als sie gemeinsam abhauen wollten. Es schien ihnen nichts auszumachen, euch zurückzulassen, ohne auch nur auf Wiedersehen zu sagen.«
    Raisa machte einen Schritt vor. »Sie können sagen, was Sie wollen, es wird nichts daran ändern, wie wir zu Soja stehen.«
    Mit gespieltem Ernst gab Frajera zurück: »Da scheint sogar etwas dran zu sein. Soja kann anstellen, was sie will. Sie kann mit einem Messer vor eurem Bett stehen, weglaufen, sich tot stellen - trotzdem glaubt ihr immer noch, dass sie euch eines Tages möglicherweise doch lieben könnte. Das ist ja beinahe schon Gefühlsfanatismus. Du hast recht, da kann ich natürlich reden, so viel ich will. Aber eines kann ich dir vielleicht trotzdem sagen, und danach wirst du zumindest zu Malysch anders stehen.«
    Frajera legte eine Kunstpause ein. »Er ist dein Sohn, Raisa.«

    Am selben Tag

    Leo wartete darauf, dass Raisa diesen absurden Gedanken von sich wies. Während des Großen Vaterländischen Krieges hatte sie ein Kind bekommen, aber das war wenig später gestorben. Einen Sohn gab es nicht, und schon gar nicht war dieser Sohn Malysch.
    Schließlich sprach Raisa, doch sie klang kleinlaut. »Mein Sohn ist tot.«
    Mit selbstgefälligem Grinsen wandte sich Frajera an Leo und wies mit dem Messer auf Raisa. »Ihr Sohn lebt. Wie du ja weißt, wurde er im Krieg gezeugt, das Ergebnis einer Belohnung für die Soldaten, bei der die sich jede nehmen konnten, die ihnen gefiel. Sie haben Raisa hergenommen, immer wieder. Dabei ist ein Bastard der Sowjetarmee herausgekommen.«
    Raisa antwortete kraftlos, doch ihre Stimme war fest und ruhig. »Mir war es egal, wer der Vater war. Es war mein Kind, nicht seins. Ich hatte mir geschworen, es zu lieben, auch wenn es auf abscheuliche Weise zustande gekommen war.«
    »Allerdings hast du den Jungen dann trotzdem im Stich gelassen und ins Waisenhaus gegeben.«
    »Ich war krank und hatte keine Bleibe. Ich hatte gar nichts, noch nicht einmal etwas zu essen.«
    Raisa hatte Malysch nicht angeschaut. Frajera schüttelte angewidert den Kopf. »Nie im Leben hätte ich mein Kind aufgegeben, egal, wie schwierig die Umstände gewesen wären. Mir mussten sie meinen Sohn im Schlaf rauben.«
    Raisa war vollkommen kraftlos, sie konnte sich nicht mehr wehren. »Ich schwor mir, zu ihm zurückzukehren. Sobald es mir besser ging, sobald der Krieg vorbei war und ich eine Bleibe hatte.«
    »Aber als du dann ins Waisenhaus zurückgekehrt bist, haben sie dir erzählt, dein Sohn sei gestorben. Und du dumme Gans hast ihnen das geglaubt. An Typhus, haben sie gesagt, oder?«
    »Ja.«
    »Da ich selbst einige Erfahrung mit den Lügen habe, die einem in Waisenhäusern aufgetischt werden, habe ich deine Geschichte überprüft. Tatsächlich wurden damals viele Kinder vom Typhus dahingerafft. Eine Menge haben aber auch überlebt, weil sie Reißaus genommen haben. Und oft verdingen sich Kinder, die aus Waisenhäusern weglaufen, als Taschendiebe in
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