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Kohärenz 03 - Time*Out

Titel: Kohärenz 03 - Time*Out
Autoren: Andreas Eschbach
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aber die Kugeln blieben stecken, verfärbten das Glas nur milchigweiß. Keine Chance. Das sahen sie schnell ein und ließen weitere Versuche dieser Art.
    »Du bist hier drinnen genauso eingesperrt, wie du es in der Zelle warst«, giftete die Kohärenz durch seine Mutter. »Das ist lächerlich, was du treibst.«
    »Werden wir sehen«, stieß Christopher hervor und setzte sich in Bewegung. Sein Fuß blutete wieder. Er zog eine rot verschmierte Spur hinter sich her, als er zu einem der Computerterminals humpelte.
    Er ließ sich auf den Stuhl davor fallen, drückte die Leertaste. Der Bildschirm wurde hell.
    »Was soll das werden? Du glaubst doch nicht, dass du auf diese Weise irgendetwas erreichst?«
    Doch, das glaube ich, dachte Christopher. Aber das behielt er für sich. Er fing an zu tippen.
    »Ich sehe jeden Tastendruck, den du tust, Christopher«, sagte die Kohärenz durch seine Mutter. »Ich kann diesen Rechner jederzeit abschalten, weißt du?«
    Eben nicht. Das hatte er gerade überprüft. Die Computer, die hier im Kubus liefen, dienten der Verschaltung aller Upgrader zumindest in diesem Gebäude. Die Kohärenz würde sich selber außer Gefecht setzen, wenn sie sie abschaltete.
    Die Upgrader draußen hatten – wohl auf der Suche nach Schwachstellen – den Glasklotz umrundet. Offenbar vergebens, denn jetzt zogen sie ab.
    Weiter. Er rief sich den Code der Core Distribution Loop ins Gedächtnis und wie darin auf die Datenbank zugegriffen wurde. Er musste einen direkten Zugriff von der Shell auf die Datenbankebene finden.
    »Was tust du da?«, fragte seine Mutter. Zum ersten Mal klang sie beunruhigt.
    Er antwortete nicht. Er hatte genug damit zu tun, den irren Schmerz in seinem Fuß auszublenden. Es war vielleicht der wichtigste Hack seines Lebens, aber ganz bestimmt nicht der angenehmste.
    »Was tust du da, Christopher?«
    Unwillkürlich sah er auf. So eigenartig hatte die Kohärenz noch nie geklungen. Als er zu den Galerien rings um den Innenhof aufsah, begriff er, wieso: weil sie noch nie zuvor aus so vielen Kehlen zu ihm gesprochen hatte. Überall entlang der Brüstungen drängten sich die Upgrader, starrten auf ihn herab, geschockt, gelähmt vor Entsetzen.
    »Was denkst du denn, was ich tue?«, murmelte er und tippte weiter. Das sah jetzt gut aus. Die Schleife war zeitkritisch, da war nicht viel mit Verschlüsselung.
    Der Chor der tausend Stimmen schwoll an. »Nein! Das darfst du nicht tun, Christopher! Du verstehst nicht, worum es geht. Ich bin die nächste Stufe der menschlichen Evolution. Ich bin die Zukunft!«
    »Nicht, wenn ich das hier zu Ende kriege«, sagte Christopher und durchbrach die letzte Absicherungsstufe.
    Damit stand der Zugang offen. Er tippte die entscheidende Befehlszeile ein:
    purge all records in all databases
    Über der Eingabetaste verharrte sein Zeigefinger.
    Wieder so ein Moment, in dem ein Druck auf eine Taste sein Leben verändern würde.
    »Was du vorhast, Christopher, ist Mord«, schrien die Upgrader auf den Galerien. »Ich bin ein lebendiges Wesen. Ich habe ein Recht zu leben. Ich habe dasselbe Recht zu leben wie du.«
    Für einen Sekundenbruchteil war er wieder dreizehn Jahre alt. Saß wieder in jenem Bankhochhaus in Frankfurt, in dem seine Mutter ihr Büro gehabt hatte. Sah wieder über die Skyline der deutschen Bankenstadt.
    Wieder war es seine Entscheidung. Und wieder würde es keine zweite Chance geben. Wieder musste er es jetzt tun – oder er würde es nie tun können.
    »Tu es nicht!«, schrien die tausend Stimmen draußen, schrie die Stimme seiner Mutter. »Du darfst das nicht tun!«
    Christopher blickte seine Mutter an, die panisch an den Handschellen zog. »Vor welcher Frage stehen wir, hast du gesagt? Du oder wir?« Er hätte gern verächtlich gegrinst, aber er war zu erschöpft dazu. »Heute jedenfalls lautet die Antwort noch einmal: wir.«
    Damit drückte er die Eingabetaste.
    Seine Mutter schrie. Die Upgrader schrien, alle, wie ein einziger Schrei dröhnte es auf ihn herab, ein Schrei, der klang, als müsse er auf dem ganzen Planeten zu hören sein.
    Doch dann verstummten sie, einer nach dem anderen, sanken der Reihe nach zu Boden. Es dauerte keine dreißig Sekunden, bis völlige Stille herrschte.

90

    Es war gar nicht so leicht, aus diesem Glastresor rauszukommen. Das Problem waren die Handschellen, mit denen Christopher die Tür verriegelt hatte: Er fand einfach keinen Schlüssel dafür!
    Der Hubschrauber kreiste nach wie vor über der Dachkuppel. Das Knattern
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