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Kohärenz 03 - Time*Out

Titel: Kohärenz 03 - Time*Out
Autoren: Andreas Eschbach
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er den Schreck seines Lebens.
    »Als Nachbarin!« Er schrie es. Wirkte dabei, als verliere er endgültig die Fassung.
    »Ja«, sagten die fünf Münder.
    Etwas wie ein Krampf schüttelte Christopher. Den Lauf der Waffe unverrückbar an der Schläfe schwankte er hin und her, schien dicht davor, in Tränen auszubrechen.
    »Ach so. Na klar. Logisch«, glaubte Serenity, ihn flüstern zu hören. »Verdammt noch mal...«
    »Denk daran, dass es sowieso unausweichlich ist«, sagte die Kohärenz. »Du kannst nicht verhindern, dass ich sie aufnehme, nur hinauszögern. Ihr oder ich, vor dieser Frage stehen wir. Und die Antwort wird am Ende lauten: ich.«
    Christopher hielt keuchend inne, blinzelte heftig.
    »Es wird besser sein als alles, was du dir vorstellen kannst«, versprach der Chor voller Verheißung.
    »Nein«, erwiderte Christopher brüsk. »Nein. Das will ich nicht. Ich will, dass sie gehen.«
    Die fünf Stimmen lachten amüsiert. »Tja, Christopher... das Problem ist: Ich glaube dir einfach nicht, dass du deine Drohung wahr machen würdest. Du bringst es nicht fertig, dich selber zu töten. Ich kenne dich«, sagten sie. »Ich bin deine Mutter.«
    Statt einer Antwort riss Christopher die Pistole herab und schoss sich in den linken Fuß.
    Serenity schrie unwillkürlich auf. Blut spritzte, warf gruselige rote Spritzmuster auf den bis dahin klinisch weißen Boden. Christopher taumelte unter dem Schmerz, aber er fing sich, hatte die Waffe schon wieder am Kopf.
    »Bitte!«, presste er hervor, mit zitternder Stimme. »Du hast doch gar kein Interesse an den beiden. Du willst mich. Nur mich.
    »Jetzt bist du verletzt«, antwortete die Kohärenz. »Das war dumm. Ich brauche nur zu warten, bis du die Besinnung verlierst.«
    So, wie er schwankte, konnte das nicht mehr lange dauern. »Mama!«, schrie Christopher auf. »Mama! Lass mich doch nicht sterben!«
    Sah er wirklich noch seine Mutter in dem Wesen, das ihm gegenüberstand? Er starrte sie an, hatte keinen Blick für irgendjemand anderes.
    »Bitte«, flüsterte er. Er zitterte am ganzen Leib. »Bitte. Lass sie gehen. Sie sind doch völlig unwichtig für dich. Wenn du mich willst, kannst du mich ja haben. Ich wehr mich auch nicht mehr. Aber lass die beiden gehen.«
    Ein Moment des Schweigens, kurz wie ein Herzschlag und lang wie ein Erdzeitalter. Ein Moment, in dem alles stillstand, die Zeit, Serenitys Herz, die Welt.
    Dann sagte die Kohärenz, diesmal nur noch mit der Stimme von Christophers Mutter: »Na gut. Wie du willst. Sie können gehen.«
    Einer der Upgrader wandte sich Serenity zu, nahm ihr die Handschellen ab, legte sie achtlos auf ein weißes Tablett, das wohl für medizinische Instrumente gedacht war. Ein anderer tat bei Guy das Gleiche.
    »Kommt«, sagte der Mann. »Ich geleite euch hinaus.«
    Ihr Herz würde jeden Augenblick stehen bleiben, dessen war sich Serenity gewiss. Sobald sie sich wegdrehte und fortging, würde es aufhören zu schlagen und alles zu Ende sein. Sie konnte ihren Blick nicht von Christopher wenden, wollte nicht gehen, nicht ihn so zurücklassen: in Tränen, die jetzt über seine Wangen liefen, entsetzlich einsam, zitternd am ganzen Körper und in einer Lache seines eigenen Blutes stehend.
    Aber Guy packte sie am Arm und zog sie mit sich, unerbittlich, unnachgiebig, und ihr Herz schlug doch weiter, verriet ihre Liebe zugunsten ihres Überlebens.
    Der Innenhof. Ihre hallenden Schritte. Herabrieselndes Licht. Gläserne Türen, die vor ihnen auffuhren. Schließlich waren sie draußen, hinausgestoßen in die fröstelig kalte Luft eines frühen Morgens in London. Und es war vorbei. Alles.
    »Komm.« Guy zerrte sie weiter. »Weg hier. Bevor sie es sich anders überlegen.«
    Sie sagte nichts. Ging nur dumpf mit ihm mit. Tappte ihm hinterher, wie sie ihm die ganze Nacht hinterhergetappt war. Wie ein Film lief es wieder vor ihr ab, wie sie die Themse entlangmarschiert waren, um drei Uhr früh. Wie sie sich die Böschung hinabgelassen hatten. Wie Guy geflucht hatte über sein Bein. Wie sie der Abwasserröhre gefolgt waren, in der es gar nicht so schlimm gestunken hatte wie gedacht.
    Und wie die Upgrader im Pumpenraum auf sie gewartet hatten.
    Sie hatten keine Chance gehabt. Von Anfang an nicht.
    »Hier«, sagte Guy und reichte ihr etwas. Erst, als sie erkannte, dass es ein Papiertaschentuch war, merkte sie, dass sie weinte, dass ihr die Tränen nur so über die Wangen strömten.
    »Was machen wir denn jetzt?«, fragte Serenity und versuchte, nicht zu
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