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Kohärenz 02 - Hide*Out

Kohärenz 02 - Hide*Out

Titel: Kohärenz 02 - Hide*Out
Autoren: Andreas Eschbach
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wenn die Schwellung zurückging und der Schorf abfiel, würde sein Dad für immer gezeichnet sein.
    »Die Operation könnte man beim nächsten Mal anders machen«, hatte ihm Dr. Lundkvist erklärt. »So, dass keine sichtbaren Narben bleiben. Jetzt, wo wir wissen, worauf wir achten müssen, wird das nächste Mal einfacher.«
    Beim nächsten Mal! Das sagte sich leicht. Im Moment stand in den Sternen, ob es je ein nächstes Mal geben würde. Niemand hatte auch nur den Ansatz einer brauchbaren Idee, wie sie es anstellen sollten, der Kohärenz noch einmal jemanden zu entreißen. Auch Christopher nicht, von dem sie es alle erwartet hatten.
    Aber das war ja nun vorbei. Sie erwarteten nichts mehr von ihm. Er war nutzlos geworden. Wurde nur noch geduldet.
    Das zu denken, war, als lege sich ein schweres Gewicht auf ihn. Christopher hatte darunter gelitten, dass sie von ihm Wunder erwartet hatten; dass sie davon ausgegangen waren, er würde die Kohärenz schon irgendwie besiegen, weil er ja schließlich Computer Kid war, der berühmteste Hacker der Welt. Christopher hatte sich allein gefühlt.
    Aber das jetzt war noch viel schlimmer: nutzlos zu sein. Abhängig von der Gnade anderer. Was würde er machen, wenn diese Gnade aufgebraucht war? Wenn sie zu dem Schluss kamen, dass sie keine unnützen Esser mehr durchfüttern wollten? Er war nur ein siebzehnjähriger Junge, der keinen Platz hatte, wohin er gehen konnte.
    Christopher machte die Augen zu, versuchte, tief durchzuatmen. Ein leiser Wind ging, blähte die Zeltplane, ließ Zweige daran kratzen. Blätterrascheln lag in der Luft. Er hörte die anderen draußen, hörte die Geräusche des Lagers, das Rauschen des nahen Flusses, alles gedämpft durch den schweren Zeltstoff, wodurch es so weit entfernt klang, als habe es nichts mit ihm zu tun, als belausche er nur einen fremden, unbekannten Ort. Wenn er hier drinnen saß, kam es ihm manchmal vor, als sei er gar nicht wirklich da.
    Endlich – Dad rührte sich. Seinem Erwachen ging jedes Mal ein Zucken irgendeines Körperteils voraus, eines Armes, eines Beines… Heute war es der Kopf selber, der zuckte. Ein Stöhnen entrang sich seiner Kehle, die Kiefer mahlten ein paar Sekunden lang. Dann schlug sein Vater die Augen auf. Er sah sich um und brauchte eine beträchtliche Weile, ehe er wieder wusste, wo er sich befand und was geschehen war.
    »Ah, Chris«, stieß er mit rauer Stimme hervor. »Ich schlafe ziemlich viel, was?«
    »Das sind die Medikamente«, sagte Christopher, obwohl er wusste, dass das streng genommen nicht stimmte.
    »Die Medikamente. Hoffen wir, dass es daran liegt.«
    Das war ein gutes Zeichen. Wenn er etwas hoffte, hieß das, dass er sich an etwas erinnerte. Denn nur wenn er sich erinnerte, würde er auch ohne die Kohärenz leben können.
    Dad hob den rechten Arm, mühsam, rieb sich die Stirn. »Weißt du, am schlimmsten ist dieses ständige Gefühl, dement geworden zu sein. Mir kommt es vor, als bestünde mein Gehirn nur noch aus Schweizer Käse, mit riesigen Löchern darin.«
    »Das ist nur ein Gefühl, das heißt nichts«, sagte Christopher geduldig. »Es wäre unmöglich, dass du dich an alles erinnerst, was du gewusst hast, als du noch Teil der Kohärenz warst. Dazu ist ein einzelnes menschliches Gehirn einfach nicht groß genug. Speicherplatz, verstehst du?« Dad war Programmierer, das würde ihm einleuchten.
    »Jaja«, erwiderte sein Vater unzufrieden. »Ich weiß. Das haben wir jetzt schon hundertmal durchgekaut. Klar. Es ist bloß…« Er ächzte. »Da ist etwas. Dicht unter der Oberfläche. Wäre es ein Wort, man würde sagen, es liegt mir auf der Zunge.« Den letzten Teil des Satzes hatte er auf Deutsch gesagt, in jenem unsicheren, stark akzentbehafteten Deutsch, das er in seiner Zeit in Frankfurt gelernt hatte. Er und Christopher hatten von jeher immer nur Englisch miteinander gesprochen. Wenn Mom und Dad sich unterhalten hatten, hatte jeder seine eigene Sprache verwendet. Das hatte die Unterhaltungen der beiden klingen lassen wie die Gespräche in der Weltraumbar im allerersten Star-Wars -Film.
    »Also ist es kein Wort?«, hakte Christopher nach.
    »Nein. Aber es ist etwas Wichtiges.« Dad hielt inne, starrte ins Leere. Man spürte deutlich, wie er suchte, wie er umhertastete im fragmentierten Feld seiner Erinnerungen. Christopher rührte sich nicht, sagte nichts, ließ ihn.
    Man musste ihm Zeit geben. Das schärfte ihm Dr. Connery ungefähr ein Dutzend Mal am Tag ein. Das menschliche Gehirn verfügt
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