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Kohärenz 02 - Hide*Out

Kohärenz 02 - Hide*Out

Titel: Kohärenz 02 - Hide*Out
Autoren: Andreas Eschbach
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über eine ungeheure Plastizität, sagte er immer wieder. Neuronen bilden ständig neue Synapsen oder neue Nervenbahnen, mit jedem Lernprozess. In der Zeit, in der dein Vater Teil der Kohärenz war, hat sich sein Gehirn so umstrukturiert, dass er als ein solcher Teil funktioniert hat. Nun muss es sich wieder so strukturieren, dass er erneut als Individuum funktionieren kann.
    »Ich komm noch drauf«, sagte Dad schließlich resigniert. »Ganz bestimmt.«

7 | Sie war so wütend, einfach so wütend auf Jeremiah! Die ganze Fahrt nach Hause über konnte sich Lilian Jones nicht beruhigen. Entsprechend schlecht fuhr sie, übersah rote Ampeln, bremste an Stoppschildern viel zu abrupt.
    Jeremiah war schuld. Jeremiah mit seinen maßlos übertriebenen Geschichten. Wahrscheinlich glaubte er sogar alles, was er ihr erzählt hatte – bestimmt; er war nicht der Typ, der einen bewusst belog. Aber so was wie diese Upgrader… Also, bitte: Leute, die anderen Leuten Chips ins Hirn pflanzten – das war ja wohl reine Science-Fiction, oder?
    Dass er ihre Tochter mit dieser hanebüchenen Begründung bei sich behielt, das würde sie ihm nicht so schnell verzeihen. Es musste ihm doch klar sein, dass ihr Schulabschluss auf dem Spiel stand! Lilian Jones machte sich heftige Vorwürfe, Serenity die Fahrt zu ihrem Vater erlaubt zu haben, so, wie es um ihre Noten gestanden hatte.
    Es besserte ihre Laune nicht, ein leeres stilles Haus vorzufinden. Beim Abendessen fehlte ihr Serenity am meisten.
    Wie so oft in den letzten Wochen warf sie also den Backofen an und kramte im Tiefkühlfach nach etwas, das sie einfach nur hineinzuwerfen brauchte. Ah, eine Pizza. Großartig. Nach dem heutigen Gespräch mit Jeremiah, dem Naturapostel, war das genau das richtige Abendessen: eine Fertigpizza, dazu einen Fertigsalat. Davon hatte sie noch einen Beutel im Kühlschrank. Fertig gewaschen und gezupft, einfach nur in eine Schüssel schütten und Salatsoße aus der Flasche darübergießen. So würde sie es machen!
    Während der Ofen warm wurde, zog sie sich rasch etwas Bequemeres an, dann schob sie die Pizza hinein und stellte den Küchenwecker auf fünfzehn Minuten.
    Was Jeremiah ihr immer zumutete! Das war schon früher so gewesen. Sie hatten ein so wunderbares Leben gehabt – ein Haus in der unberührten Natur, jede Menge Freunde, sie hatten mit den Kindern gezeltet, waren durch den Wald gewandert und hatten, nun ja, einfach gelebt …
    Sie musste Tränen aus den Augenwinkeln wischen, wenn sie an diese Zeit dachte. Es hätte ihr persönliches Paradies sein können, wenn sich Jeremiah nicht in diese verdammte Idee reingesteigert hätte, er müsse die Welt retten, alle zur richtigen Lebensweise bekehren. Himmel noch mal, wenn die Leute in Städten und in Wolkenkratzern leben wollten, dann war das doch deren eigene Angelegenheit! Und wenn sie Handys und Computer und tausend Fernsehkanäle haben wollten, wieso maßte er sich das Recht an, ihnen das ausreden zu wollen?
    Sie hatte den Tisch im Esszimmer gerade fertig gedeckt, als es an der Haustür klingelte.
    Wer mochte das sein? Doch nicht am Ende noch mal Jeremiah? Sie spähte aus dem schmalen Fenster im Wohnzimmer. Nein, zwei Frauen und ein Mann in förmlicher Kleidung, die sie noch nie im Leben gesehen hatte. Zeugen Jehovas? Aber die kamen eigentlich schon lange nicht mehr.
    Sie ging zur Tür, streckte erst mal nur den Kopf hinaus. »Ja, bitte?«
    »Mrs Jones?«, sagte eine der Frauen streng. »Wir kommen vom Beirat der Santa Cruz Highschool. Es geht um Ihre Tochter Serenity.«
    Oh nein. Also waren sie dahintergekommen, dass Lilian der Schule seit zwei Wochen etwas vorlog. Ihr sank der Mut. »Wieso?«, fragte sie zurück und versuchte, ihre Stimme so klingen zu lassen, als hätte sie nicht die leiseste Idee, was es nötig machen könnte, dass irgendwelche Amtsträger bei ihr vorstellig wurden. »Was soll mit Serenity sein?«
    Die Frau, die ein graues Kostüm trug und deren Gesichtszüge Lilian irgendwie an ein Pferd denken ließen – an ein ziemlich humorloses Pferd –, sagte: »Ich könnte mir vorstellen, dass Sie das lieber nicht auf der Straße diskutieren möchten.«
    Ihre beiden Begleiter nickten dazu bekräftigend, beide im selben Rhythmus. Es sah aus wie einstudiert. So, als machten sie solche Besuche öfters.
    Lilian seufzte und öffnete die Tür. »Also gut. Kommen Sie herein.« Was blieb ihr anderes übrig? In Anbetracht von Serenitys Noten war es klüger, keinen Streit mit der Schule
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