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Königskind

Königskind

Titel: Königskind
Autoren: R Merle
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er vergißt nichts, und
     vor allem nicht, daß er der König ist. Im übrigen ist er in militärischen Dingen bereits sehr beschlagen.«
    »Das ist wahr«, sagte Madame de Guise. »Als Jülich gefallen war, ließ sich Ludwig die Belagerung in allen Einzelheiten erklären.
     Und danach rief er aus: ›Diese Stadt habe
ich
genommen!‹ Ziemlich einfältig, findet Ihr nicht?«
    »Ein königliches Wort!« sagte mein Vater. »Ludwig weiß sehr wohl, daß er im Louvre war, während Jülich erobert wurde. Trotzdem
     ist dies ein Sieg seiner Herrschaft, und er beansprucht ihn vernehmlich!«
    |21| »Aber das Komischste an der Sache«, fuhr Madame de Guise fort (denn die »Spitzfindigkeiten« meines Vaters ließen sie kalt),
     »einige Tage darauf empfing Ludwig einen spanischen Herrn aus dem Gefolge des Herzogs von Feria. Da ließ er sich doch einen
     Plan von Jülich bringen und erläuterte dem Herrn des langen und breiten, wie die Franzosen und ihre Verbündeten die Festung
     erobert hätten. Ist das nicht unglaublich? Diese Rede einem Spanier zu halten! Kann man derart einfältig sein!«
    »Madame«, sagte mein Vater ernst, »täuscht Euch nicht! Ihr dürft ziemlich sicher sein, daß Ludwig das aus Schalkheit tat.
     Und diese Schalkheit kommt ganz nach der Art unseres seligen Königs. Wie ja auch die Eigenheit, daß Ludwig mit allen Leuten
     redet, denen er auf seinen Wegen begegnet, wenn er jagt.«
    »Ach, bewahre!« sagte Madame de Guise. »Das glaube ich nicht! Jülich einem Spanier zu erklären, und noch dazu einem Spanier
     aus dem Umkreis des Gesandten! Nein, das war kein Schalk, das war pure Einfalt. Außerdem, was soll man von einem Knaben halten,
     der bei Tisch die ganze Zeit den Trommler spielt, mit seinem Messer auf der Tischkante, auf dem Geschirr, an den Trinkbechern
     und an seinem Teller? Nein, nein, ich sage Euch, das Kind ist ein Schafskopf, ein Einfaltspinsel!«
    »Madame«, sagte mein Vater mit einiger Ungeduld, diesen geringschätzigen Refrain über Ludwig immer wieder mit anhören zu müssen,
     den man nicht ohne Hintergedanken in der Umgebung der Regentin sang, »was das Trommeln auf seinem Gedeck anbelangt, so hat
     Pierre-Emmanuel das genauso gemacht, und da war er nicht mehr neun Jahre alt, sondern zwölf.«
    Hierauf vergaß Madame de Guise im Nu ihr Thema und blickte mich schweigend an, indem sie das Licht ihrer Vergißmeinnichtaugen
     über mich ergoß.
    »Ich will doch sehr hoffen«, sagte sie, »daß mein Pierre-Emmanuel, auch wenn er noch so ernsthaft und gelehrt ist, für sein
     ganzes Leben so jungenhaft bleibt. Trotzdem, Söhnchen«, fuhr sie nach einem Schweigen fort, »seid Ihr, wenn ich nicht irre,
     jetzt achtzehn Jahre alt. Man sollte daran denken, Euch zu verheiraten.«
    |22| Die alte Leier! dachte ich, und jäh übermannte mich tiefe Traurigkeit. Nicht so sehr wegen der Heiratsidee selbst, sondern
     weil mir einfiel, daß Madame de Guise das Thema zum erstenmal während einer Kutschfahrt durch Paris aufgebracht hatte, keine
     drei Stunden, bevor unser Henri ermordet wurde.
    »Ihr seht plötzlich so schwermütig aus«, sagte Madame de Guise. »Glaubt Ihr, ich würde Euch irgendeine Provinztrine ins Bett
     schleppen? Nein! Ich will doch einmal stolz sein auf meine …«
    Auf meine Enkelkinder, wollte sie sagen, doch sie verbesserte sich.
    »Auf Eure Söhne und Töchter, damit die Schönheit Eurer Familie, mein Pierre, sich durch Euch fortpflanzt.«
    »Madame«, sagte ich mit einer leichten Verneigung, »ich bin Euch tief verbunden für die Empfindungen, die Ihr mir bezeigt.
     Aber ich fühle mich, offen gestanden, noch zu jung zum Heiraten.«
    »Zu jung?« antwortete Madame de Guise. »Dabei verlustiert Ihr Euch nun schon bald sechs Jahre mit dieser unsäglichen Toinon.«
    »Madame«, sagte mein Vater, »Ihr seid um eine Liebelei im Rückstand. Wir sind nicht mehr bei Toinon, sondern bei Louison.«
    »Toinon oder Louison«, entgegnete Madame de Guise, »ist doch egal! Das sind so Liebchen niederen Standes, mit denen ein Edelmann
     sich begnügen mag, wie man nach einer Jagdpartie am Wegrain eine Brotrinde kaut. Aber in Eurem Alter, mein Pierre, und bei
     Eurer Geburt, wie ich zu behaupten wage«, fuhr sie mit einem Blick auf meinen Vater fort, »dürft Ihr nach Höherem streben.«
    »Madame«, sagte mein Vater, der meine Verlegenheit sah und mir zu Hilfe eilte, »habt Ihr Kandidatinnen, die diesem Streben
     entsprechen würden?«
    »Ich hatte zwei. Aber die erste, Mademoiselle
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