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Königskind

Königskind

Titel: Königskind
Autoren: R Merle
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ihre Augen, ihre Lippen gleichsam
     ohne ihr Wissen grenzenlose Versprechen bekunden, mochten diese auch noch so verschleiert und verhalten sein.
    Sie war in ihrem Land eine sehr hohe Dame, mit dem Kurfürsten der Pfalz nahe verwandt, dennoch liebte sie Paris, wo |27| sie ein schönes Hôtel in der Rue des Bourbons besaß. Dort lebte sie die meiste Zeit still, ohne bei Hofe zu erscheinen, denn
     als Witwe scheute sie die Eitelkeiten der Welt und fühlte sich als Protestantin in der unseren auch nicht besonders wohl.
     Henri, der sie protegierte und zweifellos auch in seiner Geheimdiplomatie (für seine sehr engen Verbindungen mit den lutherischen
     deutschen Fürsten) einsetzte, hatte sie mir als Deutschlehrerin gegeben – ein Amt, das mit ihrem Rang und Vermögen wenig vereinbar
     war. Sowie ich sie erblickte, und ich sah sie zu meinen Unterrichtsstunden zwei- bis dreimal in der Woche, verliebte ich mich
     in sie. Doch wozu sage ich, was meine schöne Leserin nicht schon längst verstanden hat? Es war die Reife der Gräfin – dieser
     bei Frauen so anziehende Nachsommer –, die sie in meinen Augen so ausnehmend reizvoll machte.
    Weil ich hier aber sowohl von meinen Träumen wie von meinem Alltag berichte, muß ich, entgegen den abschätzigen Reden Madame
     de Guises, sagen, daß ich Toinon und nach ihr Louison nie als »Brotrinde, die man am Wegrain kaut,« betrachtet habe.
    Dies war das Wort der Eifersucht auf die unverschämte Jugend von Frauen niederer Herkunft. Meine Kammerzofen oder, wie Toinon
     sagte, meine Soubretten waren in der Tat nicht wohlgeboren, doch hinderte ihre ›Nichtgeburt‹ sie keineswegs, in meinen Armen
     warm und zärtlich zu sein. Und für Toinon, die erste, die mich die Liebeskunst lehrte, empfand ich eine Anhänglichkeit, die
     mir erst bewußt wurde durch meinen Kummer, als sie mich verließ. Letztendlich entging es mir aber nicht, daß die eine wie
     die andere mir nur gehörten, weil sie arm waren und keine wirkliche Wahl hatten. Was nicht heißen soll, sie hätten es widerwillig
     getan. Toinon mit ihrem guten gesunden Menschenverstand hatte ihre Dienste vortrefflich resümiert: »Ich fühl mich wohl hier,
     Monsieur. Wenig zu tun und nichts wie Spaß.«
    Meine Gräfin – wenn ich es wagen darf, ›meine‹ zu sagen – hatte Geist, Bildung, große Weltläufigkeit, eine hohe Moral, eine
     aufgeklärte Kenntnis der Lebensprobleme und eine, wenn auch verhaltene, beeindruckende Großmut.
    Die glanzvolle Aura, die sie umgab, hatte mich derart geblendet, daß ich Grünschnabel sie unerreichbar wähnte, so tief |28| unter ihr fühlte ich mich, und wie hätte ich auch verstehen sollen, daß sie auf Grund ihres Alters und des meinen sich mir
     unterlegen fühlte? Gleichwohl waren wir, als sie nach Heidelberg abreiste, um die Erbfolge ihres Vaters zu regeln, gerade
     im Begriff gewesen, auf eine langsame und köstliche Art Schritt für Schritt zu begreifen, daß die Abstände, die uns trennten,
     nicht so unüberwindlich waren, wie wir beide geglaubt hatten.
    So ist es wohl begreiflich, daß ich ihren Vorsatz, nach Paris zurückzukehren, begeistert begrüßt hatte; aber nach dem, was
     Madame de Guise über die Wende unserer Politik gegenüber den Habsburgern gesagt hatte, begann ich nun ebensosehr zu fürchten,
     daß eine Ausländerin lutherischen Glaubens in den Augen unserer neuen Herren
persona non grata
sein könnte. Tatsächlich wurden meine Befürchtungen, daß unser Land ihr verboten werden könnte, im Verlauf eines Gesprächs
     bestärkt, das wir in unserem Hause mit Pierre de l’Estoile führten, denn was er uns, wie stets aus besten Quellen, berichtete,
     warf auf die Lage des Reiches ein Licht, das mich sowohl als Franzosen wie auch als Liebhaber beunruhigen mußte.
    Dabei hatte jener Tag, der so betrüblich für mich endete, sich durchaus vergnüglich angelassen. Denn während Mariette uns
     das Mittagsmahl auftrug, erheiterte sie uns mit einer jener Wundergeschichten, die sie emsig aus dem Munde der Gevatterinnen
     des Viertels zusammentrug, wenn sie mit ihren beiden großen Körben, die rechts und links ihre Hüften zusätzlich rundeten,
     zu Markte ging, natürlich immer von Poussevent und Pissebœuf in unseren gefährlichen Gassen bewacht und beschützt.
    »Möschjöh le Marquis«, sagte sie also bei ihrer Heimkehr, »wenn Ihr geruhen wollt, mich anzuhören, kann ich Euch ein grosches
     Wunder erzählen, welches ich für sicher halte, denn meine Gevatterin hat es vom
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