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Königskind

Königskind

Titel: Königskind
Autoren: R Merle
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doch, und Ihr lernt sie besser kennen! Ha, mein Gott!« rief sie nach einem kurzsichtigen blauen Blick auf ihren Chronometer.
     »Zwei Uhr! Zwei Uhr schon! Gott im Himmel! Und die Regentin erwartet mich in einer halben Stunde im Louvre. Auf denn! Mein
     schönes Söhnchen, lauft und sagt |25| meinem Kutscher, daß wir zur Stunde fahren! Was sage ich, augenblicklich!«
    Als meine liebe Patin mit rauschendem Reifrock davongestoben war, ließ sich mein Vater in seinen Lehnstuhl nieder und verharrte
     stumm, anscheinend genoß er wie ich die wiedergekehrte Stille. Erst nach einer ganzen Weile fragte er, aber sehr gedämpft,
     so als scheue er nach soviel Lärm laute Worte: »Be schäftigt Madame von Lichtenberg noch immer Eure Gedanken?«
    »Ja, Monsieur«, sagte ich im selben Ton. »Und neuerdings sogar in der Hoffnung, sie wiederzusehen. Nach ihrem letzten Brief
     zu urteilen, sieht sie dem Ende ihrer Erbfolgeprobleme in Heidelberg entgegen und gedenkt nach Paris zurückzukehren.«
    »Ist das der Grund, weshalb Euch die Erwähnung Mademoiselle de Fonlebons kalt gelassen hat?«
    »Nicht gerade kalt, Herr Vater«, erwiderte ich. »Und erlaubt mir, Euch zu sagen, was ich meiner lieben Patin nicht um ein
     Königreich hätte bekennen mögen: ich finde Mademoiselle de Fonlebon in jeder Hinsicht sehr nach meinem Gefallen. Und was Madame
     de Guise soeben von ihrer Güte gegenüber ihrem Großvater erzählte, hat die Achtung, die ich für sie hege, noch erhöht.«
    Bei diesen Worten sah mein Vater mich aufmerksam an, ließ eine Pause verstreichen und fragte nach einigem Zögern: »Und woran
     seid Ihr jetzt?«
    »Nun«, erwiderte ich, »abgesehen davon, daß ich Mademoiselle de Fonlebon nicht ein Herz darbringen möchte, das nicht ganz
     von ihr erfüllt ist, dünkt mich, daß Heiraten derzeit nicht zu meinen vordringlichsten Zielen gehört.«
    »Und die wären?«
    »Herr Vater, Ihr habt Henri in den größten Gefahren gedient. Ich würde seinem Sohn gerne in gleicher Weise nützlich sein.«
    »Euren Wunsch billige ich selbstverständlich, nur läßt sich das nicht so einfach machen. Zuerst einmal müßte man zu ihm gelangen!
     Und das ist der springende Punkt! Die Regentin hält strenge Wacht um den kleinen König. Ergebenheit und Treue, die nicht ihr
     gelten, schätzt sie wenig. Vielmehr sieht sie für sich und ihre Herrschaft, die sie womöglich ewig wünscht, darin eine Art
     Bedrohung.«
    * * *
    |26| Da es erstaunlich anmuten könnte, daß ich den Vollkommenheiten Mademoiselle de Fonlebons eine Frau wie die Gräfin von Lichtenberg
     vorzog, die doppelt so alt war wie ich, möchte ich auf das Porträt zurückkommen, das ich im ersten Band dieser Memoiren von
     ihr entworfen habe, um den skeptischsten Leserinnen vielleicht doch verständlich zu machen, welche Faszination diese Frau
     für mich hatte.
    Frau von Lichtenberg war groß und majestätisch, rund, aber nicht dick. Ihr Gesicht wäre von unseren kleinen Höflingen nicht
     für schön befunden worden, weil ihre Züge nicht ebenmäßig waren. Aber in meinen Augen wurde diese Unebenmäßigkeit, wenn sie
     dessen bedurft hätte, durch einen empfindsamen Mund, nachdenkliche schwarze Augen und eine hohe Stirn wettgemacht, die nicht
     durch eine schüttere Franse alberner Löckchen verdorben wurde wie bei unseren Damen, sondern dadurch, daß die reichen, schwarzen
     Haare hochgeschlagen waren, erst recht zur Geltung kam.
    Ich habe am französischen Hof nur eine Frau mit der gleichen Haartracht gesehen: die Königin. Und es ist unstreitig, daß diese
     Haartracht Würde verleiht, eben weil sie die Stirn frei läßt. Aber für mein Empfinden gilt die Stirn nur, was die Augen gelten,
     und diese waren bei der Königin leider fahl, hervorquellend und hatten farblose, fast unsichtbare Brauen. Also vermochte die
     Breite des Stirnbogens dieser zugleich weichlichen und harten Physiognomie keinen Esprit zu verleihen. Sie war breit, ja,
     aber wie die eines Ochsen. Sie verriet lediglich Sturheit.
    Bei der Gräfin wurde die Stirn durch wohlgezeichnete schwarze Brauen betont und verschönte sich noch durch das Feuer der Augäpfel,
     welches, ob still leuchtend oder in jähen Flammen sprühend, die Intensität ihres inneren Lebens bezeugte, wie es ebenso ihr
     Mund tat, der auch in der Ruhe stets ausdrucksvoll war. Ihr Blick konnte scharf sein, ihr Wort knapp, ihr Mund verschlossen,
     sobald die Gräfin sich aber in Vertrauen geborgen, sich geliebt und respektiert fühlte, konnten
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