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Königskind

Königskind

Titel: Königskind
Autoren: R Merle
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Lateinlehrer,
     Monsieur Philiponneau, mich erwartete.
    Gleichwohl sah ich unsere zärtliche Besucherin um Punkt elf Uhr an unserem Mittagstisch wieder, denn anders als im Hôtel Guise
     ging es in unserem Hause geregelt zu. Meine Patin wirkte höchst zufrieden mit ihrem Morgen und war vergnügt |19| und fröhlich wie zu ihren besten Zeiten, quirlig in ihrem Gebaren, unverblümt und drastisch in ihrer Sprache.
    Als enge Freundin der Königin sah sie diese tagtäglich und erzählte uns aus dem Louvre allerhand Anekdoten, denen ich begierig
     lauschte, besonders, wenn es sich um den kleinen König handelte.
    »Stellt Euch vor«, sagte sie, »neulich betrat unser kleiner Königssohn, nachdem er tags zuvor auf Befehl der Königin ausgepeitscht
     worden war, ihre Gemächer. Sofort erhob sich die Köngin, wie es die Etikette befiehlt, und machte ihm eine tiefe Reverenz.
     Da sagte Ludwig mit leiser, aber deutlich vernehmbarer Stimme: ›Nicht so viele Reverenzen und etwas weniger Prügel!«
    Hierauf prustete Madame de Guise heraus vor Lachen.
    »Ich weiß nicht«, sagte mein Vater, »ob man darüber lachen soll. Hierin liegt der Keim schwerster Konflikte. Im Prinzip ist
     er der König und sie seine Untertanin. Tatsächlich aber hat sie alle Macht über ihn, sowohl als Regentin wie als Mutter. Und
     die mißbraucht sie, das sei unter uns gesagt. Wie ich hörte, hatte sie ihn bestraft, weil er sie im Vorbeigehen angestoßen
     hatte. Zwar entschuldigte er sich umgehend, aber sie wollte nicht glauben, daß es ein Versehen war. Und er wurde gepeitscht.
     Aber nicht etwa gleich auf der Stelle, nein, sondern erst am nächsten Tag in der Frühe, wie dies seit den Anfängen in dem
     Hause, dessen König er ist, gehandhabt wird. Ich finde, eine solche hinausgezögerte Züchtigung übersteigt die Grenzen des
     Abscheulichen. Stellt Euch vor, liebe Freundin, wie der Ärmste den Rest des Tages – und die Nacht – zugebracht haben muß in
     Erwartung dieser Tracht, die er nicht einmal verdient hatte.«
    Da Mariette mit einer Schüssel und mit ihrer gierig lauschenden Miene hereintrat, wurde das Gespräch unterbrochen, bis die
     Tratschliese die Tür hinter sich geschlossen hatte.
    »Was wollt Ihr, mein Freund?« sagte Madame de Guise seufzend, »die Königin ist ihren Kindern eben nicht zugetan, außer vielleicht
     dem kleinen Gaston. Schwanger sein, ja, das findet sie schön, aber sobald die Frucht vom Baum fällt, löst sie sich als erste
     von ihr. Mein armer seliger Cousin (denn so nannte Madame de Guise unseren verstorbenen König) hat es ihr oft genug vorgeworfen.
     Was scherte es sie, wenn eines der Kinder krank war. ›Man soll es zur Ader lassen!‹ sagte sie mit |20| angewiderter Miene, ohne ihren erhabenen Arsch auch nur von der Stelle zu rühren, um nach ihm zu sehen.«
    »Madame!« sagte mein Vater, »ein solches Wort, wenn Ihr von der Königin sprecht!«
    »Was ist dabei?« sagte Madame de Guise und hob halb lachend, halb entrüstet das Gesicht vom Teller, »bin ich hier bei der
     Marquise von Rambouillet? Was hat die fürchterliche Betschwester immer zu kritteln? Soll ich dieses gute saftige Wort unserer
     Sprache von heut auf morgen nicht mehr aussprechen dürfen, ohne daß man auf ihr Geheiß rundum die Nase rümpft? Was soll die
     Tyrannei? Ein Wort ist ein Wort, und ein Arsch ein Arsch! Ist der ihre von so anderer Art, daß er nicht benannt werden darf?
     Gibt es etwa niemanden, der nicht von Zeit zu Zeit seiner vergnüglichen Zwecke gedenkt? Wie wäre dann ihr armer Charles zu
     bedauern! Allerdings«, setzte sie lachend hinzu, »interessiert sich Charles in erster Linie für Pferde. Kruppen liebt er noch
     mehr als Ärsche …«
    »Ihr werdet rückfällig, Madame!« rief mein Vater.
    Aber diesmal lachte er aus vollem Halse, und ich auch.
    »Um auf den kleinen König zurückzukommen«, sagte Madame de Guise vergnügt und ein bißchen stolz, daß sie uns belustigt hatte,
     »so mag er ja ein gutherziges Kerlchen sein, aber so schüchtern, und wie er stottert, er bringt ja keine zwei Worte nacheinander
     heraus, und vor allem vergeudet er seine Zeit mit Nichtigkeiten, spielt den Maurer oder den Gärtner, kurzum, ich gehöre zu
     denen, die ihn für ein infantiles Kind halten …«
    »Oh, Madame!« rief ich lebhaft, »erlaubt, daß ich Euch widerspreche. Ludwig hört alles. Er beobachtet alles, ohne daß es den
     Anschein hat, und wenn er schweigt, so nur aus Furcht, daß seine Offenheit übel ausgelegt werde. Aber
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