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Königskind

Königskind

Titel: Königskind
Autoren: R Merle
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wenig christlich, finde ich!« sagte Lisette leise. »Da hat man die Grenzen überschritten, und auch damit, wie
     lange sie ihn gefoltert haben.«
    »Aber dadurch«, sagte Poussevent, »hat er doch gestehen sollen, ob er Komplizen hatte, die ihn zu seiner Mordtat angestiftet
     haben.«
    »Und hat er gestanden?« fragte mein Vater.
    »Nichts, rein nichts!« sagte Poussevent kopfschüttelnd. »Ich hab es, weil ich ja vornan stand, mit eigenen Ohren gehört: ›Ich
     habe es Euch bekannt‹, hat er gesagt, ›und bekenne es immer wieder: ich habe es allein getan.‹ Aber wer weiß, womöglich hat
     man ihn stufenweise zu dem Mord getrieben, ohne daß er es gemerkt hat. Und was die Sorte Leute angeht, die da |15| getrieben haben könnten, und keine von schlechten Eltern, weiß Gott, da hab ich wie jedermann so meine Idee im Hinterkopf.«
    »Dann hüte dich«, sagte mein Vater in gestrengem Ton, »sie herauszulassen! Und ihr alle hier, weil die Gelegenheit sich gerade
     bietet, hört mir dies eine: Es gibt Zeiten, in denen man laut sagen darf, was man denkt, und es gibt andere, da darf man nicht
     einmal denken, was man denkt.«
    * * *
    Mein Kummer über die Ermordung des Königs war so groß, daß ich erst Wochen danach begriff, welche Folgen sein Tod auch für
     mein Leben hatte, und mochten diese angesichts der Trauer eines ganzen Volkes auch unbedeutend erscheinen, waren sie es für
     mich durchaus nicht. Seit der König hingeschieden war, hatte ich keine Aufgabe mehr. Bekanntlich vertraute Henri seinen Ministern,
     wenn man von Sully absieht, nicht allzusehr – wegen ihres hohen Alters wurden sie die
Graubärte
genannt –, und um geheime Briefe in fremden Sprachen zu verfassen, die er an Herrscher anderer Länder richtete, bevor er in
     seinen großen Krieg gegen die Habsburger ging, hatte er in den letzten Monaten seiner Herrschaft stets mich gerufen.
    Das Gefühl, mit achtzehn Jahren der wenn auch geringste Helfer eines so großen Königs zu sein, und in Angelegenheiten von
     solcher Tragweite, hatte mich überglücklich gemacht. Ebenso die Tatsache, daß ich so oft in den Louvre gerufen wurde und mit
     Erlaubnis Seiner Majestät den Dauphin Ludwig besuchen durfte, zu dem ich drei Jahre zuvor eine große Zuneigung gefaßt hatte.
    Dieses Glück, diese Freude, das Gefühl meiner Nützlichkeit waren mir geraubt worden, als Henri dem Messer dieses Besessenen
     zum Opfer fiel. In der Leere, die sich sozusagen in mir und um mich ausbreitete, wußte ich wahrhaftig nichts mit meinem Leben
     anzufangen.
    Von der Regentin hatte ich bestimmt nichts zu erwarten. Jener Titel ›kleiner Cousin‹, mit welchem der König in seiner großen
     Güte mich anläßlich meiner Vorstellung bei Hofe ausgezeichnet hatte, hatte aus dem Munde Ihrer wenig Gnädigen |16| Majestät eine böswillige Beifügung erfahren 1 . Doch selbst wenn ich das Unwahrscheinliche annahm, nämlich daß sie einwilligte , mir irgendeinen Auftrag zu erteilen, hätten bei dem Gang, den die Dinge jetzt nahmen, wohl weder mein Vater noch ich es
     gutgeheißen, wenn ich eine Stellung akzeptiert hätte, in der ich eine Politik hätte vertreten müssen, die derjenigen unseres
     Königs höchst wahrscheinlich total entgegengesetzt war.
    Anfangs schienen ›die Dinge‹ ja noch nicht so übel zu stehen. Am siebenundzwanzigsten September überraschte uns die Herzogin
     von Guise schon früh am Morgen, um uns persönlich mitzuteilen, daß eine kleine französische Abteilung und unsere niederländischen
     Verbündeten die Festung Jülich eingenommen hatten, ohne daß die österreichischen oder spanischen Habsburger auch nur den kleinen
     Finger rührten, um unseren Waffenerfolg zu verhindern.
    Mein Vater war aber weit entfernt, sich über diesen Sieg so zu begeistern wie Madame de Guise.
    »Gewiß«, sagte er (und dieses ›gewiß‹ verriet wieder den bekehrten Hugenotten), »in der Hand unserer Freunde, der deutschen
     Lutheraner, sind Kleve und Jülich besser aufgehoben, als wenn die Habsburger sie hätten. Aber auch wenn diese Eroberung unsere
     Ehre stärkt, streut man sich damit doch Sand in die Augen. Die Graubärte
,
welche die Regentin beraten, sind schlaue Füchse. Während sie in diesem Fall scheinbar die antihabsburgische Politik unseres
     großen Königs fortsetzen, sind sie sich mit der Königinmutter längst in der Gegenrichtung einig. Es ist doch sonnenklar: wir
     haben jetzt eine Regentschaft, die der Liga, dem Papst und den Spaniern hörig ist. Und Ihr
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