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Königin für neun Tage

Königin für neun Tage

Titel: Königin für neun Tage
Autoren: Rebecca Michéle
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er. »Werde ich jemals mein Können auf einem Feldzug unter Beweis stellen? Was muss man tun, um ein Ritter zu werden?«
Lifton betrachtete seinen Schützling voller Sorge. Er kannte selbstverständlich Anthonys Geheimnis und schwieg seit vielen Jahren, denn er wurde gut bezahlt. Lifton spürte, wie Anthony regelrecht danach gierte, sich in der Welt zu behaupten und sich mit anderen zu messen. Anthony erschien ihm wie ein gefangener Vogel, der das Fliegen im Käfig gelernt hatte und jetzt in die Freiheit hinaus flattern wollte.
»Ich weiß es nicht, mein Junge. Dein Vater wird entscheiden, welchen Weg du im Leben gehen wirst. Auf jeden Fall bist du der einzige Erbe von Fenton Castle. Der Besitz wird eines Tages dir ganz allein gehören.«
Leicht kam die Lüge über Liftons Lippen. Dass Lord Thomas Anthony als Erben einsetzen würde, wenn er erst einmal hinter das Geheimnis seines Jungen gekommen war, konnte Lifton sich kaum vorstellen. Lange würden sie es wohl nicht mehr verbergen können. Ihre einzige Hoffnung war, dass Lord Thomas vorher starb … Schnell bekreuzigte sich Lifton. Er wünschte niemandem den Tod, am wenigsten seinem Herrn, aber er wusste, dass auch sein Kopf wackelte, wenn eines Tages die Wahrheit ans Licht käme. Und dieser Tag war nicht mehr fern. Man musste ja völlig blind oder vertrottelt sein, um nicht zu sehen, wie Anthony sich von Tag zu Tag zu einer hübschen und anziehenden Person entwickelte …
»Anthony! Deine Mutter erwartet dich!« Liftons Überlegungen wurden durch die laute Stimme der Kinderfrau unterbrochen, die mit weit ausholenden Schritten in den Hof gelaufen kam.
Er klopfte Anthony kurz auf die Schulter. »Ach ja, beinahe hätte ich es vergessen – herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, mein Junge. Bald wirst du so gut sein, dass ich dich nichts mehr lehren kann. Dann schlägst du mich mit Leichtigkeit.«
Anthony errötete über das Kompliment, auch wenn er wusste, dass er trotz seiner Jugend bereits ein guter Kämpfer und Reiter war. Er bedauerte nur, dass die heutigen Übungsstunden schon vorüber waren.
Ellen hatte ihn erreicht und zog ihn heftig am Ohrläppchen. Obwohl sie sich in die Höhe recken musste – Anthony überragte sie um mehr als einen Kopf –, war es ziemlich schmerzhaft.
»Du hast wohl vergessen, dass deine Mutter mit dem Essen auf dich wartet!«, schimpfte sie. »Und wie siehst du nur aus? Völlig verdreckt! So kannst du Lady Margaret nicht unter die Augen treten. Marsch, wasch dich und kleide dich um! Aber mach schnell, deiner Mutter geht es heute nicht so gut.«
Lustlos schlenderte Anthony zurück in die Burg. Er hatte eben sein Zimmer erreicht, als Ellen auch schon mit einer großen Zinnkanne hereinkam und das Wasser in die Schüssel leerte. Mit der nochmaligen Aufforderung, sich zu beeilen, ließ sie ihn allein.
Anthony wusch sich Staub und Schweiß von Gesicht und Hals, dann kleidete er sich in ein schlichtes Gewand, er besaß keine elegante oder farbenfrohe Kleidung. Über die eng anliegenden Beinkleider aus grauem Stoff zog er die gleichfarbigen Breeches, das ockerfarbene Oberteil war vom vielen Waschen bereits ausgebleicht.
Gerade als Anthony das Zimmer verlassen wollte, hörte er draußen Hufgetrappel. Verwundert eilte er zum Fenster und blickte in den Innenhof hinunter. Was er dort sah, nahm ihm fast den Atem. Im Hof standen dicht gedrängt Pferde mit Reitern in kostbaren und eleganten Gewändern. Der am prächtigsten Gekleidete ließ sich von einem Burschen gerade von seinem mit goldenen Schabracken verhüllten Pferd helfen. Anthony erkannte, dass er sehr groß war. Sein violettes Wams mit der schwarzen Pelzverbrämung brachte seine schlanke, durchtrainierte Figur gut zur Geltung. Seine Haare, die sich über den Ohren lockten, wurden nicht von einer Kappe bedeckt, so dass Anthony sah, wie die Sonne rote Reflexe im Haar aufblitzen ließ. Plötzlich pochte sein Herz unnatürlich schnell, nie zuvor hatte er einen solch schönen Mann gesehen. Sein Vater war nicht unter den Ankömmlingen, was Anthony weniger wunderte, da er niemals mit einem großen Gefolge nach Fenton Castle gekommen war. Anthony brannte darauf zu erfahren, wer die Männer waren und was sie in der ländlichen Abgeschiedenheit von Fenton Castle wollten. Er eilte aus dem Zimmer und war schon an der Treppe, als Ellen ihn energisch zurückdrängte.
»Geh in dein Zimmer und warte, bis man dich ruft!«, befahl sie. In ihrer Stimme lag ein scharfer Ton, den Anthony nur äußerst selten
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