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Königin für neun Tage

Königin für neun Tage

Titel: Königin für neun Tage
Autoren: Rebecca Michéle
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hereinbrach. In den Wintermonaten wohnte der Lehrer ebenfalls in Fenton Castle, aber Anthony hatte außerhalb der Unterrichtsstunden keinen Kontakt zu ihm. Kam sein Vater alle paar Jahre nach Hause, so blieb er stets nur einige Tage. Dann wurden die Mahlzeiten in der großen Halle eingenommen, dem prächtigsten Raum in der Burg. Die Wände waren mit dunklem Walnussholz getäfelt, die Pfeiler mit kunstvollen Schnitzereien versehen. Die über die Schmalseite verlaufende Musikantengalerie blieb allerdings verwaist. Anthony konnte sich nicht erinnern, dass in Fenton Castle jemals ein Fest stattgefunden hatte. Ihn fröstelte, wenn er nur an seinen Vater dachte. Solange er klein gewesen war, hatte Lord Thomas ihn kaum beachtet. Nie hatte er das Wort direkt an ihn gerichtet, sondern nur seine Frau und Ellen nach dem Gesundheitszustand des Jungen befragt. Anthony war von seinem Vater behandelt worden, als wäre er Luft. Anthony bewunderte und fürchtete ihn gleichzeitig, denn Lord Thomas war mit seiner imposanten Größe und dem dichten Bart eine beeindruckende Persönlichkeit. Seine Stimme war tief, laut und dröhnend, und er trat so fest auf, dass die Dielenbretter unter seinen Füßen vibrierten. Wie sein Souverän König Henry stemmte auch Lord Thomas gerne und oft beide Hände in die Hüften und schob seinen Unterkörper mit der prächtig verzierten, übergroßen Schamkapsel provozierend nach vorne. Anthony hatte schon früh bemerkt, dass seine Mutter Angst vor ihrem Mann hatte. Richtete er das Wort an sie, so zuckte Lady Margaret jedes Mal wie ein erschrockenes Vögelchen zusammen und stotterte eine piepsige Antwort, die kaum mehr als ein Flüstern war. Die Erleichterung, wenn Lord Thomas das Haus wieder verlassen hatte, war ihr stets überdeutlich ins Gesicht geschrieben.
Bei seinem letzten Besuch vor vier Jahren allerdings hatte er Anthony zum ersten Mal bewusst wahrgenommen und sich für sein Tun interessiert.
»Der Junge ist zu dünn und schmächtig«, hatte er gebrüllt, woraufhin Lady Margaret sofort in Tränen ausgebrochen war. »Bekommt er nicht genügend zu essen? Ich will, dass es meinem Sohn an nichts fehlt!«
Von Anthonys Wissen und seinem geschickten Umgang mit dem Schwert und den anderen Waffen war Lord Thomas indes beeindruckt. Zum Abschied hatte er Anthony so fest auf die Schulter geklopft, dass an der Stelle noch Tage später ein blauer Fleck zu sehen war.»Ich weiß zwar nicht, warum du nicht meine Größe und Statur hast, aber ich sehe, dass du diesen Mangel an Wendigkeit wettmachst. Außerdem bist du noch nicht ausgewachsen. Wie alt bist du eigentlich?«
»Zehn Jahre, Sir«, hatte Anthony verschüchtert geantwortet.
Nachdenklich hatte Lord Thomas genickt und unverständliche Worte in seinen Bart gemurmelt. Dann war er durch das Tor und über die Zugbrücke fort geritten, ohne sich von Lady Margaret verabschiedet zu haben. Anthony wusste, dass seine Mutter in ihrem Zimmer hinter dem Vorhang verborgen in den Innenhof hinab starrte und ungeduldig darauf wartete, dass Lord Thomas endlich die Burg verließ.
Seitdem war das Leben in Fenton Castle ruhig und ereignislos verlaufen. Auch der heutige Tag, sein Geburtstag, würde keine besonderen Überraschungen bieten. Es war nicht üblich, Geschenke zu überreichen. Zudem hatte er alles, was er brauchte. Während er sich ankleidete, wusste Anthony nicht, wie sehr er sich getäuscht haben sollte.
    Mit Lifton einen imaginären Zweikampf auszutragen, ließ Anthony sich auch am Geburtstagsmorgen nicht nehmen. Das große Schwert mit dem einfach geschmiedeten Griff lag schwer in seinen Händen. Anthony presste die Zähne so fest zusammen, dass seine Wangenmuskeln zuckten, dann hob er es hoch und ließ es mehrmals über seinem Kopf kreisen. Der Waffenmeister nickte wohlwollend.
»Du musst deinen Oberkörper leicht nach vorne bringen«, wies er Anthony an. »Wenn du in Rücklage fällst, besteht die Gefahr, dass das Gewicht des Schwertes dich rücklings zu Fall bringt.«
Anthony tat wie geheißen und hatte sofort einen besseren Stand. Nun griff Lifton seinerseits zu einem Schwert. Kurz darauf klirrte Stahl auf Stahl, aber die Schläge dienten lediglich der Übung. Nach einer halben Stunde ließen sie schweißgebadet die Waffen fallen und griffen nach den Wasserkrügen. Nachdem sich Anthony erfrischt und die Tropfen mit dem Ärmel vom Mund gewischt hatte, schüttelte er beide Arme aus.
»Glaubst du, dass ich meine Kenntnisse einmal werde anwenden können?«, fragte
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