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Knockemstiff (German Edition)

Knockemstiff (German Edition)

Titel: Knockemstiff (German Edition)
Autoren: Donald Ray Pollock
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gewesen. Jim ging nach dem Meeting gern in den Diner und suchte die knochige Blondine, die dort Nachtschicht hatte, nach neuen Tätowierungen ab. Er war alt, aber er mochte es, sich die jungen Dinger anzuschauen. Jedes Mal, wenn die kleine Schlampe sich über einen Tisch beugte, wimmerte er wie ein Hund mit Albträumen.
    »Er schlägt sich tapfer, soweit ich weiß«, antwortete ich, zuckte mit den Schultern und blies auf meinen Kaffee. Ich erwähnte meinen Vater eigentlich nur selten gegenüber anderen, aber ich hatte Jim vor ein paar Wochen erzählt, dass sein Herz schlechter geworden sei. Meiner Schwester zufolge hatten die Ärzte gesagt, sie könnten nichts mehr machen. Jeanette rief mich andauernd an und brachte mich auf den neuesten Stand. Sie sorgte sich um die ganze Familie – und das nicht zu knapp. »Zu viel Narbengewebe«, erklärte sie mir jedes Mal.
Da ist er nicht der Einzige
, hätte ich immer am liebsten erwidert.
    Jim nickte und zog an seiner Menthol-Zigarette. »Was ist mit dem Geld, das du geklaut hast?« fragte er. »Hast du dich darum schon gekümmert?«
    Himmel, dachte ich, hätte ich ihm bloß nie was davon erzählt. »Das waren nur zwanzig beschissene Dollar«, antwortete ich. »Bei dir hört sich das an, als hätte ich denen alle Ersparnisse geraubt.« Als ich meine Eltern das letzte Mal besucht hatte, hatte ich meiner Mutter einen lausigen Andrew Jackson aus dem Portemonnaie gezogen. Ich trank zwar nicht mehr, aber ansonsten war bei mir immer noch einiges im Argen.
    »Und wenn es beschissene fünf Cent sind. Ist trotzdem wichtig, verdammt noch mal«, sagte Jim. »Wenn du nicht ehrlich wirst, kommst du nie von der Flasche los.« Er machte eine derartige Sache daraus, dass man stets die Wahrheit sagen sollte, dass ich langsam den Eindruck hatte, er müsste selbst ununterbrochen gegen den Drang ankämpfen, mal richtig einen draufzumachen.
    Ich nickte, wollte mich nicht streiten. Jim war schwarz, und in seiner Nähe musste ich meine Zunge hüten. Ich wurde zwar immer besser darin, aber ich hatte immer noch Sorge, mir könnte ein
Nigger
oder
Kaffer
rausrutschen, wenn er mich nervte. Alte Gewohnheiten legt man nicht so leicht ab. In dem Nest, in dem ich aufgewachsen bin, waren alle weiß. Schwarze bekam ich nur zu sehen, wenn wir nach Meade fuhren, um einzukaufen oder die Stromrechnung zu bezahlen. Es gab in Knockemstiff Typen, die sahen sich keine Fernsehshow an, in der Schwarze vorkamen. Mein alter Herr war einer der Schlimmsten.
    Jim rieb sich das Kinn und einen verspannten Muskel im faltigen Nacken. »Du willst doch trocken bleiben, oder, Bobby?« Seine grauen Haare waren so dick und drahtig wie ein Stahlschwamm, und seine Haut leuchtete im Neonlicht wie nasser schwarzer Asphalt. Wann immer er bei den Hauptversammlungen sprach, erzählte er von seinen Touren durch die Bars rings um die Papiermühle. Auf der Suche nach kostenlosen Drinks hatte er sich immer taubstumm gestellt, mit roten Augen und nach Pisse stinkend. Für eine Flasche Thunderbird hatte er sich von weißen Kerlen die Zähne einschlagen lassen. Nun fuhr er einen jadegrünen Cadillac und hatte eine Landschaftsgärtnerei mit drei Arbeitsteams. Wenn es um die AA ging, war er ganz geschäftsmäßig, altmodisch und bibelfest. Er konnte einen manchmal schon ziemlich nerven, aber er war bereits seit fünfzehn Jahren trocken.
    Ich warf ihm einen Blick zu und dachte an die letzten paar Jahre, in denen ich gesoffen hatte. Viele haben völlig falsche Vorstellungen und glauben, es sei etwas Romantisches oder gar Tragisches dabei, ganz am Boden zu liegen. Immer wieder klopften wildfremde Männer an meine Tür und drohten, mir in den Hintern zu treten, weil ich angeblich dies und jenes getan hatte. Manchmal versteckte ich mich dann in der Zimmerecke und hatte Angst, Luft zu holen, andere Male hielt ich ihnen vor, nur zu bluffen. Einmal hatte mich ein Detective wegen Vergewaltigung kassiert, und ich musste im Befragungszimmer einräumen, dass ich mich nicht erinnern konnte, ob nun was dran war oder nicht. Zum Glück entschied er später, dass ich wohl doch nicht der Richtige sei. Ich war pleite, bekam Läuse, brach mir die Nase auf dem Gehweg. Ich verfolgte meine Ex und fehlte so oft in der Arbeit, dass selbst die Gewerkschaft die Lust verlor, für mich zu kämpfen. Ein paar Monate nachdem ich den Job in der Papiermühle verloren hatte, wachte ich in einer Entzugsanstalt der Wohlfahrt auf, nur in eine Armeedecke gewickelt. Mein Zimmergenosse
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