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Knockemstiff (German Edition)

Knockemstiff (German Edition)

Titel: Knockemstiff (German Edition)
Autoren: Donald Ray Pollock
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war ein alter Penner voller eitriger Wunden. Er hieß Hobo, und er hatte früher mal ein Glasauge gehabt. Irgendwo unterwegs hatte er es verloren. Da bekam ich es mit der Angst und ging zu den Treffen der AA.
    »Jim, ich würde nicht hier in diesem stinkenden Lokal sitzen, wenn ich nicht trocken bleiben wollte«, erklärte ich. Ich griff wieder nach den Zigaretten, doch er legte seine Hand auf die Schachtel.
    »Dann geh und statte deinen Leuten am Wochenende einen netten Besuch ab«, sagte er. »Und wenn du schon da bist, zahlst du deiner armen alten Mutter das Geld zurück.«
    »Ja, okay«, sagte ich. »Hab verstanden.«
    »Brauchst du Geld?«
    »Nein«, winkte ich ab. »Ich hab gerade meinen Lohn gekriegt.«
    »Gut.« Zwei Rauchfahnen stiegen ihm aus den Nasenlöchern, er drückte seine Kippe aus und schüttelte die nächste Zigarette aus der Schachtel. Er gab sie mir. Dann rutschte er aus der Nische, grub in seiner Tasche nach etwas Kleingeld und legte es auf den Tisch. »Wir alle bauen Scheiße, Bobby. Man muss es nur immer weiter versuchen, das ist alles.« Er klopfte mir auf die Schulter, sah noch mal die Blondine an und ließ mich mit der Rechnung allein.
    Am folgenden Tag zog ich das Hemd an, das ich mir von dem geklauten Geld gekauft hatte, und fuhr nach Knockemstiff. Obwohl ich nie wieder dort leben wollte, tat es mir doch in der Seele weh, wie sehr sich der Ort in den letzten Jahren verändert hatte. Der Laden und die Bar waren geschlossen, neue plastikverkleidete Häuser standen dicht an dicht auf den Feldern, die früher mit Mais und Gras bepflanzt gewesen waren. Der rostige Pick-up meines jüngeren Bruders stand in der Einfahrt, die Rückscheibe mit NASCAR -Aufklebern und einer Fahne der Konföderierten geschmückt. An der Antenne baumelte ein vom Wetter gebeutelter Eichhörnchenschwanz. Ich ging zur Vorderveranda und sah durch das große Panoramafenster meinen Vater im Wohnzimmer. Die beiden Schläuche eines Sauerstofftanks steckten ihm in der Nase, und er lag ganz zurückgelehnt in seinem blauen Luxusfernsehsessel, den meine Schwester nach seinem ersten Herzinfarkt gekauft hatte. Seitdem hatte er drei weitere gehabt, einer schlimmer als der andere.
    Er schaute sich mit meinem Bruder Boxkämpfe an. Ich musste nicht mal ins Haus gehen, um das zu wissen. Seit er krank war, hatte mein alter Herr nur noch Freude daran, zuzuschauen, wie andere Männer sich gegenseitig die Scheiße aus dem Leib prügelten. Je schlimmer jemand verletzt wurde, umso besser gefiel es ihm. Die meisten Kämpfe fanden in heruntergekommenen Reservat-Casinos statt, und die Boxer dort waren Männer, die genauso waren wie er, auch wenn er das nie zugegeben hätte. Er ließ meine Schwester jede Minute Boxen aufnehmen, die sie per Satellit empfangen konnten, und dann schaute er sich den ganzen Tag die Bänder an, so als wollte er sie für irgendeine Art von Comeback studieren.
    Ich kam durch den Windfang herein. Meine Mutter saß am Küchentisch, die papiernen Hände um eine Tasse Milchkaffee gelegt. Sie blickte auf einen anderen Fernseher. »Hi, Fremder«, sagte sie und bemühte sich, ihre Aufmerksamkeit von dem Film loszureißen, der sie ganz in den Bann gezogen hatte. »Oh, hübsches Hemd. Wo hast du das denn her?«
    »JC Penney’s«, antwortete ich, beugte mich vor und gab ihr einen Kuss auf den Kopf. Dann goss ich mir aus der Kanne, die auf der Theke stand, einen Kaffee ein. Neben dem Kaffeeweißer lag die Geldbörse, die ich bei meinem letzten Besuch geplündert hatte. Ich drehte mich zu Mom um, zwinkerte sie an und ging durch den kurzen Flur zum Wohnzimmer hinüber.
    »Ja, verdammt«, sagte mein alter Herr. »Schau mal, wer da ist.« Mein Vater war früher der größte Raufbold im ganzen Ort gewesen, doch nun war er grau, und die Haut an seinen Armen hing schlaff herunter wie bei einer alten Frau. Er hatte mit Mühe die sechste Klasse geschafft und war in einer Familie aufgewachsen, die seine Arbeitskraft mit Säcken Mehl und Kautabak aufgewogen hatte. Mit fünfzehn hatte er bei der Eisenbahn Schwellennägel eingeschlagen. Bei der Armee war er zum Boxer geworden. Ich hatte miterlebt, wie er im Torch-Drive-in-Kino beinahe mal einen Mann mit bloßen Fäusten totgeschlagen hatte. Mein Leben lang hatte ich gewusst, so hart konnte ich niemals werden. Aber jetzt war von ihm nicht mehr viel übrig.
    »Was läuft?« fragte ich und setzte mich auf eine Sesselkante. Mein Bruder Sam lag auf der Couch, sein langer brauner Pferdeschwanz hing
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