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Knochenkälte

Titel: Knochenkälte
Autoren: PeP eBooks
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einer Nähnadel drei Löcher hintereinander in Howies Haut bohrt. Howie verzieht das Gesicht, Blutstropfen quellen aus den Löchern. Dann nimmt Pike das mit schwarzer Tinte verschmierte Handtuch und reibt damit über die Nadelstiche. Howie wimmert, hält aber still, bis alles vorbei ist.
    Pike betrachtet sein blutiges Werk. »Fertig!«
    Howie atmet auf.
    »Was ist das?«, fragt Ash.
    Pike grinst sein irres Grinsen. »Ein hausgemachtes Tattoo.« Ich schüttele verdutzt den Kopf. »Aber wozu?«
    »Es war Howies Idee.« Pike holt ein paar antiseptische Tücher hervor und wischt Howie die Schulter ab.
    »Ja, das stimmt.« Howie zuckt wegen des Brennens zusammen. »Ich dachte, wir haben so viel durchgemacht, dass wir unbedingt eine Erinnerung daran brauchen. Damit wir immer daran denken, was wir zusammen durchgestanden haben. Weil das nämlich was ganz Großes war. Im Grunde was Unmögliches.«
    Das ist nicht mehr der Howie, der noch vor ein paar Wochen Angst vor dem eigenen Schatten hatte. Als die Ärzte sagten, sein Zustand sei stabil, ist er sofort aus dem Krankenhaus abgehauen. Seine Gehirnströme waren okay, es gab keine neurologischen Ausfälle mehr. Sogar seine Körpertemperatur ist wieder im unteren Normalbereich. Also hieß es am Ende, das alles sei nur eine Spätreaktion auf die Unterkühlung gewesen, die er beim ersten Einbruch ins Eis erlitten hatte. Man sollte meinen, nach allem, was er durchgemacht hat, wäre der Junge reif für die Klapse. Aber nein, er ist jetzt die Ruhe selbst,
hat sogar richtig Selbstbewusstsein entwickelt. Als hätte er sich im Vorbeigehen Eier mit Mumm wachsen lassen.
    »Ich dachte«, fuhr er fort, »in ein paar Jahren fangen wir an zu zweifeln, ob das alles überhaupt passiert ist oder wir es uns nur zusammenfantasiert haben. Oder ob es nur eine Geschichte ist, die wir uns so oft erzählt haben, dass wir am Ende selbst dran glauben. Aber wenn wir etwas am Körper haben, was uns dran erinnert, dieses Tattoo... Das können wir immer anschauen und wissen dann: Doch, das war alles wahr. Es ist passiert.«
    Als Pike die tintige Schmiere wegwischt, kommt das Tattoo zum Vorschein.
    Ich rücke näher ran. Es sieht aus wie eine Acht, die auf die Seite gekippt ist.
    »Was ist das?«, fragt Ash.
    »Das Zeichen für unendlich«, sagt Howie.
    ∞
     
    »Wieso unendlich?«, frage ich.
    Howie berührt die wunde Haut um das Tattoo herum. Es ist klein, vielleicht zweieinhalb Zentimeter lang.
    »Weil ›unendlich‹ heißt: ›Es hat kein Ende.‹ Eine Endlosschleife. Es endet nie. Es wird nie vergessen.« Er zuckt mit den Schultern. »Das passt einfach, finde ich.«
    »Howie hat mir meins gestochen.« Pike rollt den Ärmel hoch und zeigt uns seine linke Schulter. Da prangt die frisch gestochene Endlosschleife und direkt darüber noch ein zweites Tattoo.
    »Was ist das andere?«, frage ich. »Sieht aus wie eine Kerze oder so.«

    »Eine Dynamitstange«, erklärt Pike. »Mit brennender Lunte. Wir müssen nur noch TNT draufstechen.«
    »Das wird Dad besonders gut gefallen.« Howie schüttelt den Kopf. Dann sieht er Ash und mich an. »Und, wie sieht’s jetzt aus? Wisst ihr, Indianer und Afrikaner haben sich schon immer tätowieren lassen, als Zeichen der Stammeszugehörigkeit. Und um zu zeigen, welche Schlachten und Kriege sie gewonnen haben. Wir haben auch eine große Schlacht geschlagen. Also sollten wir uns etwas zulegen, was uns für immer daran erinnert.«
    »Meinst du, ich könnte das je vergessen?«, sage ich. »Ich hab immer noch jede Nacht Albträume.«
    Stammeszugehörigkeit , hat er gesagt. Howie will irgendwo dazugehören. Ich ja auch, irgendwie. Und wir haben tatsächlich etwas Unmögliches geschafft - etwas getötet, was eigentlich nicht zu töten war. Daran sollte man sich immer erinnern.
    »Okay, ich bin dabei«, sagt Ash.
    Howie wendet sich mir zu. »Und du?«
    Ich lasse mir die Idee durch den Kopf gehen. Verrückt, aber irgendwie gefällt sie mir. Und was sind schon ein paar Nadelstiche nach all dem, was wir durchgemacht haben?
    »Tut das weh?«, frage ich.
    Howie zuckt mit den Schultern. »Wie von einer Biene gestochen werden. Oder von einem ganzen Bienenschwarm.«
    »Na super! Okay, aber meins machst du, Howie. Ich lasse mir von Pike keine Riesenlöcher in die Haut bohren.«
    Ich will als Erster ran. Wenn ich erst zuschaue, wie Ash ihr Tattoo gestochen bekommt, mache ich am Ende vielleicht doch einen Rückzieher.

    Howie gibt mir einen Eiswürfel, mit dem ich die Stelle betäuben
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