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Knochenkälte

Titel: Knochenkälte
Autoren: PeP eBooks
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ihm antworten muss, und zwar schleunigst.
    Ich hole tief Luft. »Wir sind ins Eis eingebrochen.«
    »Was?« Er zerrt Ashs Arme aus den steif gefrorenen Ärmeln. »Wo?«
    »Drüben bei der Eisfabrik.«
    Das klingt glaubhaft. Es könnte funktionieren.
    Dad will etwas sagen, aber dann hören wir draußen ein Auto vorfahren.
    »Das sind die anderen beiden«, sage ich.
    Ich werde mir einiges überlegen müssen, um Dads Fragen ausreichend zu beantworten. Aber im Moment klingeln mir noch die Ohren, alles ist irgendwie zu hell, und es fühlt sich an, als würde sich unter mir der Boden verschieben. Nur die Wand an meinem Rücken hält mich aufrecht.
    »Welche anderen?«, fragt Dad. »Was ist hier eigentlich...?« Aber dann verstummt er. »Später. Schau erst mal zu, dass du aus den nassen Klamotten rauskommst. Und dann hol Ash was Trockenes zum Anziehen. Ich fahre euch gleich ins Krankenhaus.«
    Ich nicke, drücke mich von der Wand ab und gehe in mein Zimmer. Dad hat das Kommando übernommen. Das kann er gut. Er fühlt sich am besten, wenn er etwas in Ordnung bringen
kann. Und bei uns muss jetzt einiges in Ordnung gebracht werden.
    »Bring Decken mit«, ruft er mir nach.
    Ich ziehe mich schnell um und krame Klamotten für Ash und die Jungs aus dem Schrank. Unten geht die Haustür auf, Stiefel poltern die Treppe hoch. Ich zerre die Decken von meinem Bett, dann halte ich eine Sekunde inne und atme tief ein.
    Mein Herzschlag verlangsamt sich. Ich stehe still da und lausche dem gleichmäßigen Pochen. Auf einmal fällt mir Howies Diagramm wieder ein. Die Kurve, die er von den vielen vermissten Teenagern gemacht hat, die Zickzacklinie mit den Spitzen dort, wo besonders viele verschwunden sind. Die Linie, die wie die Kurve eines Herzmonitors aussah. Lebenszeichen, Todeszeichen.
    Der Abgang der Bestie war die letzte Spitze. Jetzt kann Howies Diagramm sich zu einer waagerechten Linie beruhigen.
    Und vielleicht finden jetzt endlich all die verlorenen Seelen ihren Frieden.

vierunddreißig
    Es ist so still. Fast friedlich, wie auf einem Friedhof. Und im Grunde ist es auch ein Friedhof. Ohne Grabsteine zwar, aber irgendwo tief unter mir liegen die Leichen begraben. Die Knochen.
    Ich bin den ganzen Weg vom Jachthafen durch den Neuschnee hierhergelaufen. Keine Ahnung, wieso. Zu sehen gibt es sowieso nichts mehr.
    Die Sonne brennt grellweiß auf den frischen Schneepuder in der Lichtung herunter. Seit jener Nacht vor einem Monat, als wir beinahe ertrunken, in die Luft geflogen und aufgefressen worden wären, hat sich die Landschaft ein wenig verändert. Durch die unterirdischen Explosionen hat sich der Fels etwas gesenkt. Steinrutsche und Erdbeben haben den Tunnel einstürzen lassen.
    Für das, was da unten passiert ist, gibt es keinen Beweis mehr. Und keiner außer mir, Ash und den Jungs - und Mason - weiß davon.
    Ich bin irgendwie immer noch bestürzt darüber, dass Dad die Geschichte, die ich ihm während der ersten benommenen Sekunden zu Hause aufgetischt habe, geschluckt hat. Während er uns auf schnellstem Weg ins Krankenhaus brachte,
hatte ich mir auch den Rest der Geschichte zusammengereimt. Und der ging so:
    Als wir hörten, dass Howie aus dem Krankenhaus verschwunden ist, haben wir uns auf die Suche nach ihm gemacht. Die seltsame Infektion hatte ihn echt mitgenommen, er war verwirrt und hatte Halluzinationen. Pike dachte, er würde vielleicht versuchen, nach Hause zu gehen. Also sind wir eine Weile herumgefahren und haben dann beschlossen, uns aufzuteilen, um ein größeres Suchgebiet abzudecken. Ich wollte mit dem Schneemobil das Ufer abfahren, während Pike und Ash entlang der Feldwege suchten. Als ich Howie auf dem Eis entdeckte, habe ich die beiden auf dem Handy angerufen und versucht, Howie auf dem Schneemobil nach Hause zu schaffen. Aber er stand total neben sich, sah irgendwelche Gestalten. Als Pike ankam, versuchte er, seinen Bruder aus den Halluzinationen rauszuquatschen, und während wir da so kauerten und Howie Richtung Heimat zu bugsieren versuchten, gab das Eis plötzlich nach.
    Ich bin sicher, wenn Dad zu doll nachgehakt hätte, wäre die Geschichte komplett zusammengebrochen. Aber wir waren nun mal nass und durchgefroren aufgekreuzt, Howie mit dem Schlafanzug aus dem Krankenhaus und wunden, blutigen Füßen vom Laufen. Und in der Nähe der Klippen war das Eis tatsächlich gebrochen. Außerdem - was hätte es sonst für eine Erklärung geben können?
    Keine, die in Dads Welt gepasst hätte.
    Ich sehe zu der
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