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Knochenfinder

Knochenfinder

Titel: Knochenfinder
Autoren: Melanie Lahmer
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wirkten. Sie fühlte sich geborgen, soweit das in dieser Situation überhaupt möglich war. Natascha hörte ein Rumpeln, dann vernahm sie verschiedene Stimmen. Sie stammten von unbekannten Männern, die sich nicht die Mühe machten, gedämpft zu sprechen.
    Ein Sanitäter mit grellorangefarbener Weste beugte sich über sie, leuchtete in ihre Augen und fühlte ihren Puls. Ihre Reflexe schienen ihn zu beruhigen, denn er erhob sich lächelnd. Dann kam ein zweiter Sanitäter, und die beiden hoben sie auf eine Tragbahre. Die Muskeln schmerzten, aber sie versuchte, dies nicht zu zeigen. Niemand sollte merken, wie sie sich fühlte, dass sie sich schon aufgegeben hatte. Wie hatte sie sich nur so leichtfertig vom Leben verabschieden können!
    Die Trage schwankte sanft, als sie durch die Höhle transportiert wurde. Der Stollengang erschien ihr unendlich lang und düster; das Tropfen jedoch, das sie seit Beginn ihrer Gefangenschaft gequält hatte, war plötzlich nicht mehr so aufdringlich. Zu guter Letzt veränderte sich das Licht; von oben schien eine natürliche Helligkeit in die Höhle, und sie erkannte das Gebälk einer Hütte.
    »Mensch, Mädchen, was machst du denn für Sachen?« Schmitz stand am Zugang zum Stollen und schüttelte den Kopf.
    Dann wurde sie nach oben gezogen und auf dem Dielenboden abgesetzt. Zwei weitere Sanitäter nahmen ihre Trage und brachten sie nach draußen.
    Hinter sich hörte sie Schmitz fragen: »Was ist mit Steinhaus?«
    Natascha fuhr ein Stich in die Magengrube. Sie versuchte, sich aufzurichten, doch einer der Sanitäter drückte sie wieder sanft zurück. »Bleiben Sie bitte liegen.«
    »Was ist mit Simon?« Ihre Stimme klang schrill und hysterisch.
    »Er ist okay«, antwortete der Sanitäter mit beruhigender Stimme. »Wir holen ihn grad aus dem Stollen. Der Täter hat ihn mit einem Betäubungsmittel gelähmt. Aber keine Sorge: der wird schon wieder. Und Sie auch.«
    Natascha seufzte und schloss die Augen.
    Der Albtraum war zu Ende.

Epilog
    René öffnete langsam die Augen und blickte an die Zimmerdecke. Die gleiche, die er schon seit zehn Tagen ansah. Seit er das erste Mal hier aufgewacht war, hatte er sie angestarrt: so lange, bis er wieder in den Schlaf gesunken war. Einen Schlaf, der ihm keine Träume bescherte. Keine Nazgûl, nur Nebel und diffuse Bewegungen. Betäubung für ein paar Stunden.
    Wahrscheinlich machten das die Tabletten. Das hatte jedenfalls die Psychologin gesagt. Es war einer der wenigen Sätze gewesen, die sie gesprochen hatte. Ansonsten saßen sie oft schweigend in ihrem kleinen Büro. Aber es war kein peinliches, drängendes Schweigen – keines, das einen zum Reden aufforderte. Es wäre in Ordnung, wenn sie gemeinsam schwiegen, hatte sie beim ersten Mal erklärt. René hielt sich daran. Wenn Schweigen in Ordnung war, dann würde er auch nicht reden. Es gab ohnehin keine Worte: nichts, was dem Grauen in der Höhle gerecht werden konnte. Vielleicht würden die Erinnerungsfetzen von allein verschwinden, wenn er sie nicht in Worte packte, sondern sie tief in seinem Innern versteckte. Wenn sie seinen Körper nicht verließen.
    Es klopfte an der Tür. Leise und zaghaft. Dann noch ein weiteres Mal. Anschließend öffnete sich die Tür ein wenig, und ein Kopf spähte vorsichtig ins Zimmer. Als der Besucher sah, dass René wach war, betrat er das Krankenzimmer und schloss die Tür hinter sich.
    Auf Renés Lippen lag ein leichtes Lächeln. »Manu.«
    »Ja, alter Kumpel. Wie geht’s dir heute?« Manuel Siebert kam an Renés Bett. »Ich hab dir wieder was mitgebracht, ein Hörbuch diesmal. Ich mein, wenn das mit dem Lesen noch zu anstrengend ist, dann kannst du die Geschichte ja auch hören.« Er blickte kurz auf Renés verbundene Hand. »Ist ganz spannend, ich hab das Buch gelesen. Es geht um ein Computerspiel, das an einer Schule rumgeht – ganz geheim. Es fängt an, die Leute zu beeinflussen; da vermischt sich dann die Realität mit dem Spiel. Mein Vater meinte zwar, ich sollte dir das besser nicht geben, aber ich denke, dass es dir gefällt.«
    »Danke.« Renés Lächeln wurde breiter. Genau das mochte er an Manuel. Er war der Einzige, der irgendwie normal mit ihm umging und der nicht so tat, als müsste man ihn in Watte packen. Sicher, Manuel war der Sohn eines Lehrers, und deshalb steckte hinter dieser Computerspielgeschichte bestimmt noch mehr, wahrscheinlich irgendeine Moral oder so. Aber René machte das nichts aus. Ihm gefielen die Sachen, die Manuel mitbrachte, er
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