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Kabeljau und Kaviar

Kabeljau und Kaviar

Titel: Kabeljau und Kaviar
Autoren: Charlotte MacLeod
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Kapitel 1
     
     
     
     
     
     
     
    D er Allerwerteste Fischkopf Jeremy
Kelling aus der Familie der Beacon-Hill-Kellings ließ seinen Blick wohlwollend
über seine achtzehn Brüder vom Club des Geselligen Kabeljaus schweifen, die
sich um die Tafel versammelt hatten, und brachte mit erhobenem Weinglas den
altehrwürdigen Toast aus:
    »Auf unser Wohl!«
    »Und zur Hölle mit den anderen!«
brüllten die übrigen wie aus einem Munde.
    »Prost, Brüder!«
    »Auf ex!« riefen siebzehn von ihnen.
    »Ein toter Wal oder ein zerschlagenes
Boot!« kreischte Bruder Wouter Tolbathy. Niemand gab etwas darauf. Sie waren an
Wouter gewöhnt.
    Sie leerten ihre Gläser. Der Allerwerteste
Fischkopf tupfte sich die Lippen mit einer schwarzgesäumten Serviette ab, an
der ein Stechpalmenzweiglein befestigt war, allerdings ohne die roten Beeren
und verkehrt herum.
    »Hiermit erkläre ich unseren
alljährlichen Scrooge-Tag für eröffnet. Fröhliche Zwietracht alle miteinander!
Wo weilet Ihr, Geist von Robert Marley?«
    »Ich bin hier und klirre,
Allerwertester.« Dekoriert mit kleinen Tresorfächern, Sparbüchsen,
Kassenbelegen, dem vernickelten Münzensortierer eines Eisenbahnschaffners und
Teilen einer alten Registrierkasse, nahm der Ehemals Allerwerteste Fischkopf
Bruder Tom Tolbathy unter lautem Rasseln Haltung an.
    »Seid Ihr in der Lage, uns das
diesjährige Ekelobjekt zu präsentieren?«
    »Jawohl, Allerwertester. Das nehme ich
jedenfalls an.«
    Durch die Unmenge von Sparbüchsen
beträchtlich in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt, griff Marleys Geist
unter den Tisch und zog das auserwählte Prunkstück hervor.
    »Mein Gott, sind der Verderbtheit der
menschlichen Phantasie denn keinerlei Grenzen gesetzt?« murmelte Bruder
Billingsgate.
    Im vergangenen Jahr hatte eine Fee aus
Kunststoff mit Augen aus Ziermünzen, die aufleuchten und blinzeln konnten,
seinen Sinn für Ästhetik beleidigt. In diesem Jahr war es eine aufblasbare
Version von Rudolf, dem Rentier mit der roten Nase, die von den Hufen bis zum
Geweih über einen Meter maß und ein rotgrünes Ballettröckchen aus gefärbten
Hühnerfedern trug. Selbst der Allerwerteste Fischkopf zuckte bei diesem Anblick
kurz zusammen, fuhr dann jedoch beherzt mit der Zeremonie fort.
    »Geist der vergangenen Weihnacht, was
meint Ihr dazu?«
    Bruder Billingsgate erhob sich
schwerfällig. »Pah! Humbug!« knurrte er.
    »Geist der diesjährigen Weihnacht, tut
Ihr uns Eure Meinung kund!«
    Bruder Ogham rückte seinen Kranz aus
welken Mistelzweigen noch etwas kesser über sein linkes Ohr, gewährte der
Versammlung einen langen Ausblick auf sein Gebiß bis hinauf zu den Backenzähnen
und erwiderte mit falscher Liebenswürdigkeit: »Pah! Humbug! Brüder, ich hoffe,
Ihr seid alle dem leuchtenden Beispiel Eures Allerwertesten Fischkopfes gefolgt
und wart in diesem Jahr unartige kleine Jungen.«
    »Pah! Humbug!« riefen sie alle, mit
Ausnahme von Jeremy Kelling. Er verharrte in würdevollem Schweigen, bis der
Staub aufgehört hatte, von der eindrucksvoll verzierten alten Stuckdecke zu
rieseln.
    »Geist der zukünftigen Weihnacht,
sprecht zu uns!«
    Der Ehemals Allerwerteste Große
Fischkopf Wripp tastete nach der Tischkante. Schließlich gelang es ihm, sich
halbwegs von seinem Stuhl zu erheben. »Pah! Humbug!« brachte er mit zitternder
Stimme hervor.
    Dies hatten sie Obed Oghams sonderbarem
Humor zu verdanken, dachte Jeremy Kelling verdrießlich. Der hatte nämlich
daraufbestanden, daß Wripp diese Rolle übernahm. Teufel auch, die Brüder
brauchten wahrhaftig nicht daran erinnert zu werden, in welcher Verfassung sie
alle bereits in wenigen Weihnachten sein würden. Außerdem war es äußerst
taktlos und ganz und gar nicht lustig, den armen alten Wripp für einen derart
geschmacklosen Scherz zu mißbrauchen.
    Jeremy Kelling selbst war unter den
Brüdern des Geselligen Kabeljaus geradezu ein Jüngling, befand er sich doch
noch diesseits der Siebzig. Er hatte sich lange gedulden müssen, bis sein
Großonkel Serapis, der einzige andere Bonvivant unter den Kellings, hochbetagt
verschieden war und an eine mögliche Mitgliedschaft im Club auch nur zu denken
gewesen war, denn die Aufnahmebedingungen waren streng, die Mitgliedschaft
wurde im allgemeinen nur vererbt. Danach hatte er sich langsam hocharbeiten
müssen. Jahrelang hatte er davon geträumt, daß er, der kleine Jem, eines Tages
die Große Kette mit dem barschgroßen Kabeljau-Anhänger aus Sterling-Silber
tragen und am Kopfende der Tafel
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