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Knochenfinder

Knochenfinder

Titel: Knochenfinder
Autoren: Melanie Lahmer
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flüsterte in der Finsternis; sie verstärkte die beängstigende Wirkung seiner Worte. »Die ältesten Karten stammen aus dem achtzehnten Jahrhundert. Vorher wurde gar nichts kartografiert; da ist man einfach den Erzgängen gefolgt, hat gebohrt und gegraben und sich nicht um irgendwelche Rechte geschert.«
    »Es weiß also kein Mensch, wie die uralten Stollen verlaufen?«, fragte Steinhaus mit scharfer Stimme. »Wenn uns hier unten etwas passiert und die Nachhut den falschen Abzweig nimmt, sind wir also tot.«
    Winterberg musste ihm recht geben. »Das ist wahr. Außerdem kommen wir hier gleich nicht mehr weiter. Lasst uns zurückgehen und den anderen Gang nehmen. Lorenz, jetzt gehst du voran, ich bleibe hinten.«
    Sie wechselten die Marschrichtung und schritten in gebückter Haltung wieder auf die Stelle zu, wo sich die Gänge trennten.
    Plötzlich fühlte sich Winterberg unendlich einsam.
    Sie erreichten erneut die Abzweigung. Lorenz nahm die Taschenlampe wieder an sich und ging zielstrebig in den anderen Gang, selbstbewusst wie ein erfahrener Höhlenführer. Winterberg war ihm dankbar dafür, weil es ihm selbst ein Stück Verunsicherung nahm. Das galt wohl auch für Steinhaus, der schweigend vor ihm marschierte, die Hände zu Fäusten geballt. Falls er noch immer von Furcht einflößenden Gedanken bedrängt wurde, behielt er sie zumindest für sich.
    Auch Winterberg konnte sich nicht ganz von der Angst freimachen, die von der unheimlichen Düsternis ausgelöst wurde. Hinter sich hörte er ein Rascheln – vielleicht von Fledermäusen, Lurchen oder Eidechsen, die hier in der Dunkelheit lebten. Im Strahl der Taschenlampe huschten vor ihnen kleine Tiere über den rostroten Stein, doch Lorenz an der Spitze beachtete sie gar nicht und marschierte vorwärts. Auch wenn sie jetzt schon dreißig Meter oder mehr in dem Gang gelaufen waren, wurde er nicht so schnell enger wie der erste Tunnel. Winterberg schöpfte Hoffnung.
    Gleichzeitig hatte er das drängende Gefühl, dass ihnen die Zeit davonlief. Was, wenn sie nicht rechtzeitig eintreffen würden! Er dachte an das Entsetzen, das ihn überkommen hatte, als ihm Renés amputierte Finger zu Gesicht gekommen waren. Es gab Anblicke und Gerüche, gegen die er sich einfach nicht abhärten konnte. Und auch ein weiteres Bild quälte ihn: Natascha. Hoffentlich war es für sie noch nicht zu spät!
    Die Lichtstrahlen aus den beiden Lampen wanderten immer weiter, durchstachen das Dunkel und glitten über den feuchten Stein. Sie gingen Meter um Meter, doch seit einer gefühlten Ewigkeit änderte sich nichts an dem Stollen: keine Abzweigung, keine Höhle – und kein Ende. Der Weg war zermürbend, und wohin sie auch blickten, überall gab es Gestein. Immer öfter mussten sie die Köpfe einziehen, weil Felsstücke in den Gang hineinragten. Lorenz ging jetzt langsamer. Abwechselnd beleuchtete er Decke und Boden, damit er sich nicht den Kopf stieß und nicht ins Stolpern geriet und womöglich hart auf den Fels stürzte. Es wurde immer gefährlicher, je weiter sie in die Erde vordrangen. Steinhaus war ungewöhnlich still, nur sein Atem kräuselte sich in feinen Nebelwölkchen vor seinem Gesicht.
    Plötzlich blieb Lorenz stehen.
    »Da!« Er wies mit dem Lichtstrahl nach vorn. In etwa zehn Metern Entfernung wurde der Gang an den Seiten breiter und höher.
    »Eine Höhle!« Steinhaus rannte nach vorn in den Lichtkegel.
    Jetzt sah Winterberg es auch. Vor ihnen war eine höhlenartige Kammer, etwas größer als die zu Beginn ihrer Stollenwanderung. Und vor der Höhle saß jemand.

Kapitel 67
    »Natascha!«, rief Steinhaus und rannte auf die Gestalt vor der Höhle zu.
    Winterberg leuchtete mit seiner Stirnlampe dem vorwärtseilenden Kollegen hinterher. Plötzlich blieb Steinhaus stehen.
    »Verdammte Scheiße!«, rief er und drehte sich mit weit aufgerissenen Augen zu den beiden Kollegen um.
    Unvermittelt richtete sich die Person hinter Steinhaus auf und lachte. Es klang nicht besonders schön – und vor allem überhaupt nicht nach Natascha. Der Lichtstrahl von Lorenz’ Taschenlampe traf abwechselnd Steinhaus und die Person hinter ihm. Sie stand breitbeinig am Eingang der Höhle, hatte die Arme verschränkt und grinste dermaßen frech, dass Winterberg am liebsten in das Gesicht reingeschlagen hätte.
    »Ach, schau an«, sagte der Mann. »Ich habe schon gar nicht mehr daran geglaubt, dass Sie es noch schaffen werden. Sie haben erstaunlich lange gebraucht, um zu uns zu finden.«
    »Wo sind René
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