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Knochenfinder

Knochenfinder

Titel: Knochenfinder
Autoren: Melanie Lahmer
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das habe, wenden wir uns umgehend an die Öffentlichkeit. In der Regel gibt es immer irgendjemanden, der etwas gesehen hat.«
    »Du willst also das volle Programm auffahren?«, fragte Natascha vorsichtig. »Noch liegt ja kein Verbrechen vor. Wir wissen doch nur, dass ein junger Erwachsener verschwunden ist.«
    Winterberg nickte. »Aber René geht noch zur Schule. Und er ist verschwunden. Das ist mir Motivation genug, um alle Hebel in Bewegung zu setzen. Auch über Zuständigkeiten hinweg!«
    Natascha nickte. »Du hast recht. Ich habe auch kein gutes Gefühl bei der Sache.«
    »Geht mir auch so.« Lorenz machte einen Schritt auf die Tür zu. »Deshalb telefoniere ich mit Ärzten, Krankenhäusern, Jugendeinrichtungen und der Schule. Vielleicht haben wir ja Glück, und wir finden ihn schnell.« Er steckte die Büroklammer in die Hosentasche.
    »Okay, Lorenz. Finden wir den Jungen, und bringen wir ihn nach Hause.« Eine erlösende Energie machte sich in Winterberg breit: Endlich fand er die nötige Motivation, sich ganz dem Fall zu widmen, und verscheuchte die Gedanken an ein mögliches schlechtes Ende.
    »Soll ich mich vorher noch an den Computer setzen?«, fragte Natascha. »Ich kann nachschauen, ob ich in unseren Datenbanken oder im Internet etwas über den Jungen finde.«
    Winterberg sah, wie ihre Augen glänzten. Das taten sie immer, wenn Natascha voller Tatendrang mit der Aufklärung eines neuen Falls begann. Winterberg hatte diesen Augenausdruck schon oft wahrgenommen und ließ sich jedes Mal vom Eifer seiner jungen Kollegin anstecken.
    »In Ordnung«, antwortete er. »In einer Dreiviertelstunde fahren wir auf den Giersberg zu den Staudts. Bis dahin kannst du am Computer recherchieren.«
    »Alles klar. Bin schon verschwunden!« Sie eilte hinaus.
    Winterberg hörte, wie das Quietschen ihrer Schuhe auf dem Linoleumboden im Flur leiser wurde.
    »Ich mache die Aktenführung, oder?« Lorenz sah ihn fragend an.
    »Danke. Du bist in diesen Dingen einfach besser als ich. Wenn ich sehe, in welcher Zeit du die Unterlagen sortierst und mit welcher Selbstverständlichkeit du auf die ganzen Informationen zugreifen kannst, ziehe ich jedes Mal in Gedanken den Hut vor dir. Das gelingt mir weder auf dem Papier noch am Computer. Irgendwie fehlt mir dafür die nötige Struktur.«
    Lorenz grinste. »Dafür kommen wir oft genug durch deine Querdenkerei weiter. Das ergänzt sich gut so ...«
    »Sei nicht so nett zu mir – vielleicht wirst du meine Querdenkerei irgendwann noch einmal bereuen. Und jetzt lass uns loslegen, wir dürfen keine Zeit verlieren!«
    Lorenz nahm die Mappe vom Schreibtisch, hob kurz die Hand zum Gruß und eilte zu seinem Büro.
    Winterberg lehnte sich kurz zurück. Er starrte auf die graue Wand und versuchte sich zu sammeln. Was für ein seltsamer Zufall, dass der Vermisste dieselbe Schule besuchte wie seine Söhne. Sie mussten ihn doch kennen – wenigstens Niklas, der im gleichen Alter war. Er nahm sich vor, demnächst mit seinem Ältesten über René zu sprechen.

Kapitel 6
    Natascha warf einen prüfenden Blick auf die Umgebung, als sie ihr Ziel auf dem Weidenauer Giersberg erreichten. Das weiß getünchte Haus der Staudts fügte sich perfekt ins Straßenbild ein, das von gepflegten Einfamilienhäusern geprägt wurde, die vom Wohlstand der Mittelschicht zeugten. Im Vorgarten standen Rhododendronbüsche und ein roter Fächerahorn, und vor den Fenstern hingen schmale Scheibengardinen. Die Einfahrt führte zu riesigen Garagentoren; daher verwunderte es nicht, dass vor dem Haus kein Auto parkte. Alles Extravagante – sofern so etwas überhaupt hier vorhanden war – hatte man sorgfältig verborgen. Nur die überdimensionale Hausnummer aus dunkelblauem Kunststoff schien einen letzten Rest von Individualität zum Ausdruck bringen zu wollen.
    Winterberg hielt am Straßenrand und stellte den Motor aus. Er blieb jedoch noch sitzen, als ob er über etwas nachdenken müsste.
    Die Fahrt war in unangenehmem Schweigen vergangen, das Natascha nicht hatte durchbrechen wollen. Lorenz hatte ihr erzählt, dass Winterberg heute mehrmals gedankenversunken und abwesend gewesen war. Wahrscheinlich irgendein Ärger zu Hause, hatte er vermutet und sie dabei verschwörerisch angesehen. Natascha hatte sich vorgenommen, Winterberg nicht darauf anzusprechen. Wenn er irgendwann reden wollte, würde er das von alleine tun. Wenn nicht, dann würde er ihr ohnehin nichts erzählen.
    Winterberg legte den Sicherheitsgurt ab und sah sie kurz an.
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