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Knochenfinder

Knochenfinder

Titel: Knochenfinder
Autoren: Melanie Lahmer
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gemeldet.«
    Natascha runzelte die Stirn. »Die lassen sich aber verdammt viel Zeit. Ob er wohl abgehauen ist? Vielleicht ist das ja früher schon mal passiert? Das wäre immerhin eine nachvollziehbare Erklärung dafür, weshalb die Eltern erst so spät reagieren.«
    »Das weiß ich noch nicht. Allerdings hat der Vater vor einer halben Stunde noch einmal angerufen und mitgeteilt, er hätte kurz zuvor endlich Nina Achenbach erreicht, die Exfreundin seines Sohnes. Sie hat ihm erzählt, dass René ihr einen Brief geschrieben hat. Möglicherweise einen Abschiedsbrief.«
    Winterberg spürte, wie sich etwas in seinem Inneren zusammenzog. »Möglicherweise? Was heißt das?«
    Lorenz seufzte. »Sie weiß es nicht. Weil sie nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte, hat sie den Brief vernichtet. Ungelesen.«
    »Und warum meint der Vater, dass es ein Abschiedsbrief war? Glaubt er etwa, der Liebeskummer seines Jungen sei so groß, dass er etwas Dummes gemacht hat? Es könnte doch sonst was dringestanden haben, oder?«
    Winterberg merkte selbst, dass seine Worte abwehrend klangen; er tat ja so, als wäre die Vermutung des Vaters abwegig, ein Teenager könnte aus enttäuschter Liebe davonlaufen oder sich gar umbringen. Dabei würde er doch das Gleiche denken, wenn es um seinen eigenen Sohn ginge. Niklas schrieb jedenfalls keine Briefe, wenn er nicht unbedingt musste.
    Lorenz nahm eine Büroklammer vom Schreibtisch und drehte sie zwischen den Fingern. »Theoretisch ja. Aber genauso gut könnte der Vater recht haben, und der Junge hat sich was angetan. Wir werden den Inhalt des Briefes jedenfalls nicht herausfinden, es sei denn, es gibt irgendwo eine Kopie von ihm.« Er sah zu Winterberg. »Die Ex hat den Brief nämlich nicht einfach ins Altpapier geworfen. Sie war gründlich. Zuerst hat sie den Brief zerrissen, dann die Schnipsel verbrannt. Und die Asche hat sie im Ausguss weggespült. Da sind sogar unsere Spezialisten aufgeschmissen.«
    Winterberg schlug mit der Hand auf den Schreibtisch. »Sie hat den Brief verbrannt? Das gibt’s doch gar nicht!« Der Schlag hatte wehgetan, und er rieb sich mit der Linken den Daumenballen. »Dann gehen wir also vom schlimmsten Fall aus. Trotzdem haben wir immer noch eine Chance, dass alles gut ausgeht. Der Junge wäre nicht der Erste, der Hals über Kopf abhaut und es sich dann doch anders überlegt. Denkt nur mal an die Sache mit der jungen Griechin vor ein paar Wochen. Erst verschickt sie E-Mails mit Selbstmorddrohungen an ihre Freundinnen, und dann wird sie zwei Tage später putzmunter und mit neuen Klamotten in Hannover aufgegriffen.«
    »Ja, das wäre eine einfache Lösung«, meinte Natascha. »Aber an eine Shoppingtour glaube ich in diesem Fall nicht.«
    Lorenz spielte nervös mit der Büroklammer und überlegte angestrengt. »Vielleicht gab es ja auch Ärger in der Schule? René besucht das Städtische Gymnasium. Zwölfte Jahrgangsstufe.«
    Winterberg sank merklich in sich zusammen. In seinem Hinterkopf begann ein leises Dröhnen. Verdammt! Dieselbe Schule wie Niklas und Fabian. Was war da los? Was passierte mit den Jugendlichen dort? Sein pubertierender Sohn brachte das Familienboot ins Wanken, und er musste einen – möglicherweise – lebensmüden Schulkameraden suchen, anstatt zu Hause das Steuer in die Hand zu nehmen und alle wieder auf Kurs zu bringen.
    Er zog den Tischkalender näher zu sich heran. »Der Junge ist seit Freitag verschwunden, heute ist Montag. In der Zwischenzeit kann verdammt viel passiert sein. Was genau, darüber möchte ich lieber nicht nachdenken.«
    »Nachdem die Eltern ihn am Sonntag vermisst gemeldet hatten, ging die Info an die Kollegen von der Streife. Wenn einer von ihnen René entdeckt, erfahren wir das sofort. Allerdings haben wir bisher keine Hinweise von ihnen bekommen.« Lorenz hielt einen kurzen Moment inne. »Bevor der Brief aufgetaucht ist, hat die Sache noch anders ausgesehen. Da schien die Wahrscheinlichkeit hoch zu sein, dass der junge Mann von alleine wiederkommt. Schließlich ist jede Party irgendwann zu Ende. Aber jetzt müssen wir was tun.« Erwartungsvoll sah er seinen Kollegen an.
    »Richtig.« Winterberg nickte zustimmend. »Zuerst sollten wir mehr über den Jungen in Erfahrung bringen. Ich fahre mit Natascha zu seinen Eltern und sammle alle relevanten Informationen. Ein Foto von ihm, seine Handynummer und die Blutgruppe, Adressen und Telefonnummern von Freunden, Klassenkameraden, Verwandten. Alles, was uns weiterhelfen könnte. Wenn ich
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