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Knochenerbe

Knochenerbe

Titel: Knochenerbe
Autoren: Charlaine Harris
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keine begnadete Tänzerin bin. An meiner Hintertür traf ich überraschenderweise einen fremden, schwarzgekleideten Mann, der dort gerade eine Nachricht befestigen wollte.
    Wer von uns beiden verdatterter war, ließ sich schwer sagen.
    Es dauerte einen Augenblick, bis ich den Mann wiedererkannte: Es handelte sich um den Priester, der meine Mutter getraut und Jane beerdigt hatte. Bei der Hochzeit hatte ich mich mit ihm unterhalten, nicht aber am Morgen bei der Beerdigung. Er war groß, bestimmt über einen Meter achtzig, wahrscheinlich Ende dreißig, mit dunklem Haar, das an den Schläfen gerade anfing, grau zu werden und sich damit seiner Augenfarbe anzupassen, einem sauber gestutzten Schnurrbart und einem Beffchen.
    „Miss Teagarden! Ich wollte Ihnen gerade eine Nachricht hinterlassen“, sagte er, nachdem er sich von meinem singenden, tanzenden Auftritt erholt hatte.
    „Vater Scott!“ Glücklicherweise war mir sein Name in letzter Sekunde noch eingefallen. „Schön, Sie zu sehen.“
    „Sie scheinen heute sehr beglückt zu sein.“ Ein vorsichtiges Lächeln ließ gut gepflegte Zähne blitzen. Wahrscheinlich hielt der Mann mich für betrunken.
    „Na ja, ich war auf Janes Begräbnis …“ Das war kein guter Anfang, wie ich bestürzt erkannte, als die Brauen meines Besuchers in die Höhe schossen.
    „Kommen Sie doch herein“, bat ich. „Dann erzähle ich Ihnen, warum ich so vergnügt bin, obwohl das doch so … unangemessen scheinen könnte.“
    „Ich würde gern hereinkommen, wenn Sie eine Minute Zeit haben. Aber vielleicht komme ich ja ungelegen – und bitte: Nennen Sie mich Aubrey.“
    „Sie kommen gar nicht ungelegen, im Gegenteil, und Sie müssen Aurora zu mir sagen. Oder Roe. Die meisten nennen mich Roe.“ Eigentlich hatte ich ein wenig allein sein wollen, um mich an die Idee zu gewöhnen, nun reich zu sein. Aber bestimmt machte es Spaß, es jemandem zu erzählen. Hastig versuchte ich, mich daran zu erinnern, in welchem Zustand ich mein Haus zurückgelassen hatte. „Kommen Sie doch herein! Ich koche einen Kaffee.“ Dann konnte ich nicht mehr anders: Ich lachte einfach.
    Dem guten Priester blieb nichts anderes übrig, als mir ins Haus zu folgen, obwohl er mich wahrscheinlich inzwischen für reichlich durchgeknallt hielt.
    „Wir haben ja seit der Vermählung meiner Mutter nicht mehr miteinander gesprochen“, plapperte ich etwas hilflos drauflos, während ich die Tür aufschloss, die in meinen Wohn- und Küchenbereich führte. Prima – alles machte einen ziemlich ordentlichen Eindruck.
    „John ist ein wundervoller Mann und eine Stütze unserer Gemeinde“, bemerkte der Priester und warf mir aus nächster Nähe von hoch oben einen scharfen Blick zu. Warum begegneten mir nie kleine Männer? Warum war es mein Schicksal, mit einem Krampf im Nacken durchs Leben zu gehen? „John und Ihre Mutter sind noch auf Hochzeitsreise?“
    „Ja, und es gefällt ihnen so gut, dass es mich nicht wundern würde, wenn sie länger blieben als geplant. Meine Mutter hat seit sechs Jahren keinen Urlaub mehr gemacht. Sie wissen, dass sie ein Maklerbüro leitet?“
    „Das hat John mir erzählt.“ Aubrey Scott, ein höflicher Mensch, stand immer noch in der Tür.
    „Was ist nur los mit mir, ich vergesse heute wirklich alle Manieren! Kommen Sie herein, setzen Sie sich.“ Ich warf meine Handtasche auf den Küchentresen und deutete auf die Ledersitzgruppe, bestehend aus zweisitzigem Sofa und passendem Sessel in meinem „Wohnbereich“, der sich gleich an den „Küchenbereich“ anschloss.
    Der Ohrensessel präsentierte sich deutlich als mein Lieblingsplatz, ausgewiesen durch die Messingstehlampe dahinter, die hervorragendes Leselicht spendete, und den kleinen Tisch neben dem Sessel, auf dem ein leerer Kaffeebecher stand, und ein paar Zeitschriften sowie das Buch lagen, das ich gerade las. Weise entschied sich mein Besucher für das eine Ende des Zweisitzers.
    „Hören Sie“, sagte ich und hockte mich ihm gegenüber auf die Sesselkante. „Ich muss ihnen sagen, warum ich heute so albern bin. Normalerweise bin ich nämlich nicht so.“ Leider entsprach das der Wahrheit. „Ich habe gerade erfahren, dass Jane Engle mir einen Haufen Geld hinterlassen hat, und auch wenn sich das jetzt vielleicht habgierig anhört, muss ich Ihnen gestehen, dass ich darüber total glücklich bin.“
    „Daraus kann ich Ihnen keinen Vorwurf machen“, sagte er ernst. Vater Scott meinte, was er sagte, das spürte ich eindeutig. Meiner
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