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Knochenerbe

Knochenerbe

Titel: Knochenerbe
Autoren: Charlaine Harris
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regnete es, ein kurzer, heftiger Sommerregen, der einen feuchten, dampfenden Nachmittag versprach und den ein Wärmegewitter begleitete. Die Donnerschläge kamen scharf und angsteinflößend, ich zuckte bei jedem einzelnen zusammen, während ich meinen Morgenkaffee trank. Als ich die Zeitung von der so selten benutzten Vordertreppe zur Parson Road hinaus holte (sie war nur geringfügig nass), ließ der Regen schon wieder ein wenig nach, und während ich duschte und mich für die Verabredung mit Bubba Sewell anzog, kam die Sonne hervorgekrochen. Aus den Pfützen auf dem Parkplatz hinter meinem Gärtchen stieg Nebel auf. Ich sah mir eine Weile die CNN-Nachrichten an – denn als Erbin musste man gut informiert sein –, experimentierte ein wenig mit meinem Make-up, aß eine Banane, schrubbte die Spüle, und dann war es endlich Zeit, aufzubrechen.
    Ich war unruhig und aufgeregt, ohne recht zu wissen warum. Das Geld würde wohl kaum in einem großen Haufen in Janes Wohnzimmer liegen, im Gegenteil: Sewell hatte gesagt, ich würde gut zwei Monate warten müssen, ehe ich es ausgeben durfte. An Janes kleinem Haus war nichts Besonderes, ich kannte es schließlich, war ich doch dort ein paarmal zu Besuch gewesen.
    Natürlich gehörte es jetzt mir. Etwas so Großes hatte ich noch nie besessen, und die Erbschaft machte mich unabhängig. Ich war nicht mehr auf meine Mutter angewiesen. Natürlich hätte ich von meinem Gehalt als Bibliothekarin leben können, aber eben mehr schlecht als recht. Der Job als Hausverwalterin, der mir mietfreies Wohnen und ein kleines Zusatzgehalt bescherte, sorgte für den Unterschied zwischen knappem und angenehmem Budget und war eine ungeheure Erleichterung.
    In der vergangenen Nacht war ich häufig aufgewacht und hatte mir vorgestellt, in Janes Haus zu wohnen. In meinem Haus. Ich konnte es aber auch veräußern, sobald die gerichtliche Testamentseröffnung stattgefunden hatte, und mir ein anderes kaufen.
    Die Welt war so voller Möglichkeiten an diesem Morgen, als ich meinen Wagen anließ, um in die Honor Street zu fahren, dass es mir fast schon Angst machte – aber auf eine gute, kribbelnde, fröhliche Art, wie beim Achterbahn fahren. Janes Haus lag in einer der älteren Wohngegenden unserer Stadt, in der die Straßen nach Tugenden benannt waren. Zur Honor Street gelangte man über die Faith Street; die Honor Street war eine Sackgasse, und Janes Haus kam nach der Kreuzung mit der Faith Street als zweites Haus auf der rechten Seite. Die Häuser hier waren in der Regel klein, mit zwei oder drei Schlafzimmern, und lagen inmitten sorgfältig gepflegter Gärtchen, die von großen, von Blumenbeeten umgebenen Bäumen beherrscht wurden. Die Hälfte von Janes Vorgarten nahm eine große Lebenseiche ein, die für Schatten auf dem Erkerfenster des Wohnzimmers sorgte. Ihre Auffahrt führte von links auf das Haus zu und endete an einem tiefen, ans Haus angebauten Carport, an dessen rückwärtigem Ende eine Tür auf einen Lagerraum hindeutete. Die Küchentür führte in den Carport, man konnte aber auch, wie ich es als Besucherin immer getan hatte, in der Auffahrt parken und den gewundenen Gartenpfad entlang zur Vordertür gehen. Das Haus war weiß, wie alle anderen in der Straße, und von Azaleenbüschen umgeben, was im Frühjahr, wenn die Büsche in voller Blüte standen, bestimmt wunderschön aussah.
    Als ich ausstieg, sah ich als erstes, dass die Ringelblumen, die Jane um ihren Briefkasten herum gepflanzt hatte, vertrocknet waren. Anscheinend hatte niemand daran gedacht, sie zu gießen. Irgendwie stimmte dieses kleine Detail mich wehmütig: Die Hände, die die nun welken gelben Blumen gepflanzt hatten, ruhten jetzt einen Meter achtzig unter der Erde, sie würden sich nie mehr regen.
    Da ich zu früh war, blieb mir Zeit, mir meine neue Nachbarschaft ein wenig anzusehen. Am Eckhaus rechts von mir rankten wunderhübsche Rosensträucher die Veranda empor, das Haus links von mir war so oft durch Anbauten erweitert worden, dass von seinen ursprünglich klaren Linien kaum mehr etwas zu erkennen war: Die Fassade war mit Ziegeln verkleidet, eine Garage mit einer Wohnung darüber war angebaut und mit dem Haus durch einen überdachten Gang verbunden worden, hinten am Haus hatte man eine große Sonnenterrasse angeklatscht. Insgesamt sah das Ergebnis nicht gerade gelungen aus. Neben diesem recht verschandelten Bau stand das letzte Haus auf dieser Straßenseite, dort lebte, wie ich mich jetzt erinnerte, Macon Turner, der
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