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Knochenerbe

Knochenerbe

Titel: Knochenerbe
Autoren: Charlaine Harris
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genau das, was ich vorgab, nicht zu sein: eine Frau, die nur wenig zu tun hatte. Unsere Bibliothek hatte Budgetkürzungen hinnehmen müssen, weswegen einige Mitarbeiter auf Teilzeitarbeit umsteigen mussten, wollten wir die bisherigen Öffnungszeiten beibehalten. Mich hatte die Axt als Erste getroffen – hoffentlich nur, weil ich am kürzesten dabei war. Von daher arbeitete ich momentan nur noch achtzehn, allenfalls zwanzig Stunden die Woche. Hätte ich nicht mietfrei gewohnt und als Hausverwalterin einer der Wohnanlagen meiner Mutter (einer aus vier Häusern bestehenden Reihenhaussiedlung) ein kleines Gehalt bezogen, man hätte meine Lage als sehr düster bezeichnen müssen.
    Mr. Sewell erklärte mir den Weg zu seinem Büro so detailreich und umständlich, dass ich mich gar nicht hätte verfahren können, auch wenn ich es darauf angelegt hätte. Zudem bestand er darauf, dass wir Kolonne fuhren. Auch hier übertrieb er es mit seiner Fürsorge und zeigte jedes Abbiegen schon so weit im Voraus an, dass ich einmal beinahe zu früh nach links abgebogen wäre. Dabei setzte er nicht nur den Blinker, sondern streckte auch noch die Hand aus dem Fenster und winkte, wobei er mich im Rückspiegel beobachtete, bis ich ihm mit einem Nicken signalisiert hatte, dass seine Gesten bei mir angekommen waren und ich sie verstanden hatte. All das war unnötig und höchst irritierend, hatte ich doch mein ganzes Leben in Lawrenceton verbracht. Nur die reine Neugier hielt mich davon ab, dem Mann hinten auf die Stoßstange zu fahren und mich anschließend unter Tränen und heftigem Taschentucheinsatz anmutig bei ihm zu entschuldigen.
    Letztlich hielten wir auf dem Parkplatz des Jasper-Gebäudes, eines der ältesten Bürohäuser unserer Stadt und mir als Wahrzeichen seit Kindertagen bestens vertraut. „War doch nicht schwer zu finden, oder?“, erkundigte sich Bubba Sewell, als ich aus dem Auto stieg.
    „Nein.“ Ich fasste mich lieber kurz, um nicht noch in letzter Sekunde ausfallend zu werden.
    „Mein Büro ist im zweiten Stock.“ Offenbar hatte Rechtsanwalt Sewell Angst, ich könnte mich auch jetzt noch auf dem Weg vom Parkplatz zur Eingangstür verlaufen. Tapfer verkniff ich mir jede sarkastische Bemerkung und betrat schweigend den Fahrstuhl, während Sewell munter eine einseitige Unterhaltung aufrechterhielt. Er plauderte über die Anzahl der Besucher auf Janes Beerdigung, verkündete, dass sicher eine Menge Menschen um sie trauern würden, erging sich über das Wetter und darüber, wie sehr er sich immer wieder darüber freute, im Jasper-Gebäude seine Büroräume zu unterhalten, denn eine Atmosphäre wie hier fände man in den modernen Bürohäusern einfach nicht.
    Als er endlich seine Bürotür öffnete, fragte ich mich schon seit geraumer Weile, wie die scharfzüngige Jane diesen Sewell hatte ertragen können. In den eher kleinen Büroräumen wuselten dann gleich drei Angestellte herum – offenbar war dieser Bubba also intelligenter und erfolgreicher, als man ihm beim ersten Kennenlernen zugetraut hätte. Überall zeigten sich Hinweise auf einen gewissen Wohlstand: Die Stühle verfügten über Lederpolster, an den Wänden hingen gute Kunstdrucke, auf den Regalen fand sich das eine oder andere gute Stück aus dem Sharper-Image-Katalog. Neugierig sah ich mich um, während Sewell der gutgekleideten rothaarigen Sekretärin am Empfang ein paar Anweisungen gab. Die Frau machte auf mich nicht den Eindruck eines hübschen Dummerchens und behandelte ihren Chef mit freundlichem Respekt.
    „Nun zu Ihnen, Miss Teagarden!“, meinte der Anwalt jovial, als wir endlich allein in seinem Büro saßen. „Die Akte Engte – wo ist sie denn? Ach du meine Güte, sie muss doch hier irgendwo sein.“
    Es folgte eine große, theatralische Suche zwischen den Papieren auf seinem Schreibtisch, von der ich mich allerdings nicht in die Irre führen ließ: Bubba Sewell fand es aus irgendeinem Grund angebracht, den zerstreuten Lord Peter Wimsey zu geben, aber ein Trottel war der Mann ganz gewiss nicht.
    „Da haben wir sie ja! Hatte sich versteckt!“ Freudig wedelte er mit der Akte, als sei deren Existenz ernsthaft in Frage gestellt gewesen.
    Ich faltete die Hände im Schoß und gab mir Mühe, nicht hörbar zu seufzen. Nur weil ich alle Zeit der Welt hatte, hieß das noch lange nicht, dass ich sie als unfreiwillige Zuschauerin einer Ein-Mann-Show verbringen wollte.
    „Da bin ich aber froh, dass Sie sie gefunden haben“, sagte ich trocken.
    Sofort wurden
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