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Knappheit: Was es mit uns macht, wenn wir zu wenig haben (German Edition)

Knappheit: Was es mit uns macht, wenn wir zu wenig haben (German Edition)

Titel: Knappheit: Was es mit uns macht, wenn wir zu wenig haben (German Edition)
Autoren: Sendhil Mullainathan
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dringend nötig ist. Er muss für seinen Fehler wirklich bezahlen. Reserven ersparen uns nicht nur Kompromisse, sie haben auch zur Folge, dass Fehler keine wirklichen Opfer erfordern.
    Betrachten wir nun ein ähnliches Beispiel, in dem es um die Zeit geht. Psychologen haben in einer Untersuchung ältere Collegestudenten gebeten, die Zeit zu schätzen, die sie brauchen, um ihre Examensarbeit abzuschließen. 19 Der durchschnittliche Schätzwert war 34 Tage. Mit der Möglichkeit eines guten oder schlechten Fortgangsder Ereignisse konfrontiert, gaben sie 27 Tage (wenn alles wirklich gut ausgehen würde) oder 48 Tage (wenn es schlecht laufen würde) an. In Wirklichkeit brauchten sie im Schnitt 55 Tage. Diese Fehleinschätzung ist nicht nur die Folge der Dummheit von Studenten ohne Erfahrung. Jeder, vom Manager bis zum Filmproduzenten, leidet unter dem Scheitern von Plänen. Wir sind alle viel zu optimistisch, was Zukunftspläne betrifft. Selbst erstklassige Schachspieler vertrödeln beim Schnellschach zu viel Zeit mit den ersten Zügen, um dann im späteren Verlauf des Spiels unter Zeitnot zu leiden. 20
    Das Scheitern von Plänen ist vielen Menschen vertraut, es hat aber nicht für alle die gleichen Folgen. Angenommen, Sie müssen ein Projekt zum Ende des Monats abschließen. Das Projekt kostet eigentlich noch 40 Stunden Arbeit, aber Sie denken fälschlicherweise, es seien nur 30, und planen entsprechend. Die Deadline kommt näher, und Sie erkennen Ihren Fehler. Es fehlen Ihnen zehn Stunden. Wie können Sie das Defizit ausgleichen?
    Angenommen, Sie haben nicht sehr viel zu tun. Das Defizit ist dann zwar ärgerlich, aber Sie schauen in Ihren Terminkalender und finden Wege, um Zeit zu schinden. Es gibt ein paar Verpflichtungen, die Sie leicht verschieben können, ein paar Aufgaben, die nicht so eilig sind, und das Wichtigste, Sie haben in Ihrem Terminkalender schon da und dort freien Raum. Mit ein wenig Jonglieren sind Sie startklar. Sie haben die zehn fehlenden Stunden aufgetrieben.
    Nehmen Sie nun stattdessen an, dass Sie in dieser Woche schon schwer beansprucht werden. Dann ist das Ganze mehr als ärgerlich. Sie schauen in den Terminkalender und sind überfordert. Es ist wirklich übel. Das Ganze ist wie ein wackliger Berg von Mikadostäben, der einstürzt, wenn man etwas herauszieht oder bewegt. Da Sie keine Alternative haben, müssen Sie gegen Ihren Willen die eine oder andere Auswahl treffen. Sie verschieben ein anderes Projekt, das etwas weniger dringend ist, wobei Sie mit Recht die Folgen fürchten (aber nicht an sie denken). Sie haben Zeit geborgt, und Sie müssen einen Preis zahlen. Die nächste Woche wird zu einem noch größeren Alptraum.
    Für die weniger beschäftigte Person schluckt die Reserve den ganzen Ärger und reduziert damit die Folgen. Die überbeschäftigtePerson kann dagegen das Ganze nicht so gelassen hinnehmen. Jede zusätzliche Stunde geht auf Kosten von etwas anderem. Der gleiche Planungsfehler hat ganz verschiedene Folgen. Wir haben gerade gesehen, wie ineffizient Reserven sein können. Wir kaufen Dinge, die für ewig im Schrank bleiben, und wir benützen Zeit und Geld ineffizient. Hier sehen wir aber, dass Reserven auch über versteckte Effizienz verfügen. Sie geben uns Raum zu manövrieren und neu zu ordnen, wenn wir einen Fehler gemacht haben. Reserven geben uns den Raum, Fehler machen zu dürfen.
    Reserven schützen uns auch in einer anderen Weise. Alex und Ben haben für die Jacke den gleichen Betrag ausgegeben. In gewisser Weise kostet sie aber Ben mehr. Die 200 Dollar sind ein kleiner Teil von Alex’ Einkommen, ein kleiner Teil seiner Reserven − aber ein großer Teil der Reserven Bens. Der in Dollar gleich teure Fehler ist für Ben relativ viel teurer. Wie der Ökonom Abhijit Banerjee beschreibt, ist die Einschränkung durch Verführungen regressiv. Sie kann von jemandem, der wenig hat, schwerer ausgeglichen werden. 21
    Ein Doktorand der Volkswirtschaft, Dan Bjorkegren, hat diesen Ansatz getestet, indem er eine groß angelegte Untersuchung des Konsumverhaltens der Bevölkerung Indonesiens anstellte. Einige der Ausgaben klassifizierte er als »verführerische Waren«. Diese Einteilung ist sicher subjektiv und steht zur Diskussion. In zukünftigen Untersuchungen sollen die Personen gebeten werden, die Waren selbst zu taxieren. Aber für einen ersten Durchgang war das eine wertvolle Übung, und die Liste war außerordentlich vernünftig: Zigaretten, Alkohol, andere Drogen und
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