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Knappheit: Was es mit uns macht, wenn wir zu wenig haben (German Edition)

Knappheit: Was es mit uns macht, wenn wir zu wenig haben (German Edition)

Titel: Knappheit: Was es mit uns macht, wenn wir zu wenig haben (German Edition)
Autoren: Sendhil Mullainathan
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Kompromiss nötig. Sie müssen keine andere Ausgabe opfern, um diese eine zu machen. Im extremsten Fall haben Sie unendlich viele 10-Dollar-Scheine zur Verfügung. Genau besehen wissen wir, dass es auf irgendeiner Stufe nicht so ist, aber wir handeln nicht nach dieser Erkenntnis.
    Manchmal werden uns jedoch die Kompromisse bewusst. Stellen Sie sich vor, Sie wollen abnehmen und denken über jenen Cocktail nach. Selbst wenn der Preis von 10 Dollar Sie nicht dazu bringt, an einen Kompromiss zu denken, der »Preis der Kalorien« tut es. Plötzlich müssen diese zusätzlichen 300 Kalorien abgerechnet werden. Wenn Sie den Cocktail trinken, müssen Sie etwas anderes aufgeben. Ist es der Cocktail wert, auf den Nachtisch zu verzichten? Oder auf den Bagel morgen früh? Eine Diät macht uns zu Kalorienrechnern. Die Kalorienkontobücher müssen ausgeglichen sein. Wir stellen fest, dass das Genießen von einem Ding den Genuss eines anderen ausschließt. Wir üben uns in Kompromissdenken.
    Für jemanden mit einem kleinen Geldbudget haben natürlich 10 Dollar die gleiche Bedeutung wie 300 Kalorien für jemanden mit einem kleinen Kalorienkoffer: Das ausgegebene Geld muss kompensiert werden. Ein kleiner Koffer zwingt zu der Erkenntnis, dass die Mitnahme des einen Dings den Verzicht auf ein anderes Ding bedeutet. Wer einen großen Koffer hat und sich überlegt, noch ein Paar Turnschuhe mitzunehmen, denkt einfach nur darüber nach, ob er sie wirklich will. Der Besitzer eines kleinen Koffers überlegt, was er dafür zurücklassen muss, um Platz zu schaffen.
    Knappheit fördert das Kompromissdenken. Alle jene Bedürfnisse, die wir nicht befriedigen können, erzwingen unsere Aufmerksamkeit und stehen im Denken ganz oben. Sind wir knapp bei Kasse und wollen etwas kaufen, fallen uns alle offenen Rechnungen ein und machen die nötigen Kompromisse deutlich. Arbeiten wir mit einer engen Deadline und wollen für irgendetwas eine Stunde verschwenden, kommen uns alle Dinge in den Sinn, die getan werden müssen. Wieder werden uns die nötigen Kompromisse vor Augen geführt. Verfügen wir über reichlich Zeit und Geld, sind wir auf diese Dinge nicht konzentriert und die Kompromisse verschwinden im Hintergrund. Nach dieser Rechnung ist das Kompromissdenken eine zwangsläufige Folge von Knappheit.
    Um das noch etwas genauer zu untersuchen, haben wir einen Test mit Pendlern in einem Bostoner Bahnhof durchgeführt. 2 Wir baten die Pendler, alle Gedanken aufzuschreiben, die sie haben, wenn sie ein Fernsehgerät kaufen wollen. Alles, an was man dabei üblicherweise denkt − Bildgröße, Auflösung, Preis-Leistungs-Verhältnis − kam vor. Als wir dann die Antworten nach Reich und Arm trennten, wurde ein Muster deutlich. Nur wenige Pendler zeigten ein Kompromissdenken der Art: »Was muss ich aufgeben, wenn ich den Fernseher kaufe?« Die Testteilnehmer, die sich solche Fragen stellten, waren vergleichsweise arm. Die Armen berichteten zweimal häufiger von Kompromissen als die Reichen (75 Prozent gegenüber 40 Prozent). 3 Das war ein beeindruckender Unterschied, insbesondere, weil unsere Einordnung als »arm« mit dem Knappheitsbegriff nur grob übereinstimmte. Einige, die wir als reich einordneten, könnten durchaus auch schon Knappheit erfahren haben, beispielsweise waren einige mit Hypotheken belastet, hatten Bankschulden, mussten Collegegebühren zahlen oder hatten eine große Familie zu ernähren.
    Als wir diese Untersuchung in Indien wiederholten, zeigte sich ein bemerkenswertes Problem. Wir stellten fest, wie die Knappheit vom Verhältnis des Umfangs eines Budgets zum Wert der Dinge abhängt, die angeschafft werden sollen. Als wir die Testteilnehmer baten, über den Kauf eines Mixgeräts nachzudenken, sprachen reichere Testteilnehmer nur in knapp 30 Prozent der Fälle vonKompromissen, während es bei den Armen 65 Prozent waren. Als wir aber nach einer teureren Anschaffung fragten − einem Fernsehgerät −, berichteten sowohl die Armen wie die Reichen von Kompromissen. 4 Ob wir also an Kompromisse denken, hängt vom Wert des Kaufs im Verhältnis zu unserem Budget ab. Der Mixer stellte einen bedeutenden Teil des Budgets der Armen dar, aber nicht der Reichen. Das Fernsehgerät hingegen war selbst für die reicheren Haushalte eine größere Ausgabe. Anders gesagt: Der Mixer erweckte bei einigen das Gefühl von Knappheit, das Fernsehgerät bei allen. Ähnlich macht der Kauf eines Autos bei fast allen amerikanischen Haushalten Kompromisse
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