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Kleine Suenden zum Dessert

Kleine Suenden zum Dessert

Titel: Kleine Suenden zum Dessert
Autoren: Clare Dowling
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sie wie ein Schluck Glühwein im Winter. Es war wie im letzten Jahr, als sie sich den Arm verbrannt hatte und er eine Ewigkeit Kompressen darauf drückte, bevor er die Wunde verband.
    »Ich glaube nicht. Soviel ich gehört habe, ist sie betrunken, und unter diesen Umständen kann sie bestimmt nicht gut zielen.«
    »Dann trifft sie dich vielleicht aus Versehen. Provoziere sie auf keinen Fall!«, schärfte er ihr im Befehlston ein. Grace wurde es noch wärmer. Nicht, dass sie das ihren Freundinnen gegenüber jemals hätte zugeben können aber es tat manchmal unheimlich gut, von einem Mann umsorgt zu werden. Verwöhnt. Herumkommandiert. Beschützt.
    »Sag es den Jungs lieber nicht - es könnte ihnen Angst machen«, spielte sie ihm die heldenhafte Mutter vor und legte als Zugabe ein leichtes Zittern in ihre Stimme.
    »Meinst du?« Seine Machophase war wie immer enttäuschend kurz gewesen.
    »Ich weiß nicht, Ewan. Was meinst du denn?« Sie wünschte sich sehnlich, dass er die Jungs in drängendem Ton zu sich beorderte und sie dann mithören ließe, während ihre Mutter das Drama in schaurigen Einzelheiten schilderte, in das sie da geraten war. Sie wollte hören, wie ihre Stimmen vor Aufregung immer schriller wurden, wenn sie ihre Fragen stellten, ihre Besorgnis um die Gesundheit ihrer Mum äußerten. Und dann sollte Ewan sie ins Auto packen und mit ihnen an den Ort des Geschehens eilen.
    »Du hast wahrscheinlich Recht«, sagte Ewan in ihre Gedanken hinein. »Ich werde ihnen nichts erzählen.« Dieser Mann arbeitete in der Werbebranche, dachte Grace, er war ein Fachmann in Konsumentenpsychologie, ein Meister in der Manipulation eines anspruchsvollen und übersättigten Publikums. Warum war er im Privatleben so himmelschreiend begriffsstutzig?
    Sie wusste, dass sie sich kindisch benahm, aber so war es nun mal in letzter Zeit. Sie merkte sich Witze oder lustige Geschichten, die sie im Radio hörte, um sie den Zwillingen dann beim Abendessen zu erzählen, und strahlte in völlig übertriebener Freude, wenn sie sie zum Lachen bringen konnte. Oder sie führte kleine Kunststücke vor, um sie zu beeindrucken, zeigte ihnen zum Beispiel am Faschingsdienstag, dass sie Pfannkuchen genauso gut in der Luft wenden konnte wie der Koch im Fernsehen. (Wäre der Teig nicht ganz so flüssig gewesen, hätte sie sich ihren Arm vielleicht nicht so schlimm verbrannt.) Sie benahm sich wie ein bemitleidenswertes Kind, das neu in der Schule war und sich den Zugang zu der angesagten Gang verschaffen wollte. Kinder rochen einen Schwindel auf eine Meile Entfernung, und je mehr sie sich anstrengte, umso weniger erreichte sie damit. Ihre Versuche, ihnen etwas Außergewöhnliches zu bieten, trieben sie in einen Teufelskreis. Inzwischen wäre die einfache Bedrohung mit einem Gewehr wahrscheinlich gar nicht mehr genug. Wahrscheinlich müsste sie sich erschießen lassen, um ihre Söhne wirklich zu beeindrucken.
    »Was machst du eigentlich mit den Jungs, wenn ihr gemeinsam unterwegs seid?«, fragte sie ihren Mann.
    »Was?«
    »Was machst du mit den Jungs, wenn ihr für Stunden verschwunden seid?«
    »Wir sind nie für Stunden verschwunden, Grace.« Nach einer kurzen Pause setzte er hinzu: »Du hast nicht zufällig eine Liste gemacht, was eingepackt werden muss, oder?« Sie hörte ihn mit Papier rascheln.
    »Nehmen wir mal gestern Abend«, sagte sie laut. »Nach dem Essen sagtest du, du würdest mit den Jungs eine halbe Stunde in den Park gehen - aber als ihr zurückkamt, war es bereits dunkel.«
    »Ehrlich?«
    Sie sah sein Gesicht vor sich. Es drückte Verwirrung darüber aus, dass sie das überhaupt registriert hatte, dass sie sich über eine solche Nebensächlichkeit den Kopf zerbrach. »Wir haben nur rumgealbert. Wie immer.«
    »Und was genau bedeutet ›rumalbern‹ in diesem Fall?« Sie bemühte sich, nicht zu neugierig und zu kindisch zu klingen. Es ging ja nur darum, dass er es ihr nie erzählte. Sie kamen nach Hause, mit puterroten Köpfen und schnaubend wie junge Stiere, und keinem von ihnen fiel ein, ihr zu erzählen, was sie gemacht hatten oder wo sie gewesen waren. Sie erniedrigte sich nie so weit, sie zu fragen, hob kaum den Blick, wenn sie an ihr vorbei zum Kühlschrank stürmten, um ihnen bloß nicht den Eindruck zu vermitteln, dass sie sich dafür interessierte.
    »Meistens spielen wir Fußball«, sagte Ewan. »Manchmal auch Basketball. Oder wir fangen welche von den kleinen Tieren, die unten am Fluss leben. So was alles. Pfadfinderkram.«
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