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Kleine Suenden zum Dessert

Kleine Suenden zum Dessert

Titel: Kleine Suenden zum Dessert
Autoren: Clare Dowling
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Nach einem Moment setzte er hinzu: »Man sollte meinen, dass sie jetzt, wo sie schon größer sind, öfter allein spielen wollten.«
    »Mmm«, brummte Grace. Die drei verbrachten ihre gemeinsame Zeit also nicht damit, einander Geheimnisse anzuvertrauen oder etwas in der Art. Jamie und Neil offenbarten ihm nichts, gestatteten ihm keinen Blick hinter die Kulissen ihres Wesens, wie sie es früher bei ihr taten und manchmal auch heute noch, wenn sie sich abends an ihr Bett setzte, um ihnen gute Nacht zu sagen.
    »Warum willst du das wissen?«, fragte Ewan.
    »Nur so.«
    Ein Teil von ihnen gehörte immer noch ihr. Sie hatten ihn ihr nicht weggenommen, und ihr Herz war auf einmal nicht mehr so schwer.
    Der Wagen wackelte, als die Motorhaube plötzlich aufsprang. Frank. Grace spähte zwischen den Rückenlehnen nach vorne. Was in aller Welt hatte er vor? »Es geht um diese stillgelegte Mine, stimmt‘s?«, polterte Ewan plötzlich los.
    »Was?« Grace konnte ihm nicht folgen. »Ich wusste nicht, dass es eine stillgelegte Mine war, okay? Es hing kein Schild daran, auf dem Stillgelegte Mine stand. Es gab zwar ein Schild, aber es war so verwittert, dass man den Text darauf nicht mehr lesen konnte. Frag die Jungs sie werden es dir bestätigen. Deine Mutter kann sagen, was sie will, Grace - ich würde meine Kinder niemals absichtlich in Gefahr bringen, das steht fest.«
    »Das weiß ich, Ewan. Okay? Niemand beschuldigt dich in irgendeiner Form.«
    Jahre vor der Minen-Geschichte war Ewan einmal an einem stürmischen Tag mit den Jungs auf den Papal Cross im Phoenix Park gestiegen und hatte sie oben in ihrem Zwillingswagen abgestellt, ohne daran zu denken, ihn zu arretieren. Hätte nicht ein flinkfüßiger, japanischer Tourist eingegriffen, wäre es zu einer Katastrophe gekommen. Hätte Ewan seinen Verstand benutzt, wäre ihm klar geworden, dass er gut daran täte, den Vorfall für sich zu behalten, doch er war nicht durchtrieben genug und noch zu jung, um zu wissen, dass eheliche Streitigkeiten und Ressentiments noch zehn Jahre später widerhallen können. Und so legte er, als er nach Hause kam, ein Geständnis ab und handelte sich damit das Etikett »Mr Kopflos« ein, das Graces Mutter ihm verpasste, als sie die Geschichte hörte. Es war ein Etikett, gegen das er viele Jahre ankämpfte. Nein - »ankämpfte« war zu viel gesagt. Er verwahrte sich dagegen, ja, das traf es eher - und das tat er hin und wieder ganz entschieden, das musste man ihm lassen.
    Irgendwann hörte er auf, sich dagegen zu verwahren, und akzeptierte es, machte es sich sogar zu Eigen, und heutzutage hatte er bei Freunden und Verwandten den Ruf eines amüsanten zerstreuten Professors, der jedoch hochintelligent und höchst kreativ war, was ihn in einem gewissen Maß zu entschuldigen schien. Im Lauf der Zeit ergänzte er sein Image um die eine oder andere Kleinigkeit. Gedankenverlorenheit, zum Beispiel. Ein schlechtes Gedächtnis. Arbeitswut. Aber er war ein sensationeller Vater, was alles andere entschuldigte.
    Wenn Grace es genau bedachte, fühlte er sich in seiner Rolle pudelwohl.
    Sie für ihren Teil musste, nachdem sie ihn in eine Schublade gesteckt hatte, kompensieren, indem sie die entgegengesetzte Richtung einschlug. Und so war sie jetzt die Organisatorin in der Familie, das Mädchen für alles. Wenn irgendjemand etwas suchte, fragte er Grace, wo es zu finden wäre. Musste jemand zum Zahnarzt? Grace vereinbarte einen Termin. Sie, die bei ihrer ersten Verabredung mit Ewan so nervös gewesen war, dass sie den Treffpunkt verwechselte! Sie saß eine Stunde in Bewley‘s Café in der Westmoreland Street, während Ewan in Bewley‘s Café in der Grafton Street saß. Es war Ewan gewesen, der schließlich auf die Idee kam, die Straße hinaufzuwandern und in der anderen Filiale nachzusehen.
    War es nicht komisch, wie man sich in einen Menschen verwandeln konnte, der man früher nie gewesen war?, dachte Grace. Sie erinnerte sich wieder an das aufgeregte, verträumte Mädchen, das mit einem schwarzweiß gestreiften Halstuch, mit dem sie Ewans Aussage nach wie Dennis the Menace aussah, vor einer Tasse allmählich kalt werdendem Kaffee saß. Sie hatte zwei Karten für einen Vortrag von Neil Jordan im Irish Film Centre über die Situation des irischen Films in der Tasche, und danach saßen Ewan und sie im Schneidersitz auf dem Fußboden seines möblierten Zimmers und diskutierten leidenschaftlich bis vier Uhr früh. Und heute, fünfzehn Jahre später, war sie eine Frau,
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