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Kleine Suenden zum Dessert

Kleine Suenden zum Dessert

Titel: Kleine Suenden zum Dessert
Autoren: Clare Dowling
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wenn sie ihn los wäre. Ihn und alles andere.
    Julia schaffte es, ein paar Tabletten auf den Tisch zu schütten, aber sie konnte das Glas nicht halten. Ihre Hände zitterten zu stark. Sie würde in die Küche gehen und einen biegsamen Strohhalm holen müssen, um sich umzubringen. Was für eine würdelose Methode! Sie kochte vor Wut. Als sie die Küchentür öffnete, schlug ihr Rauch entgegen. Im Backofen brannte es.
    »Mist!«
    Sie hatte zwei Scheiben Brot zum Toasten hineingetan und sie völlig vergessen, und jetzt schlugen Flammen durch die Eisenringe ihres makellos sauberen Herdes und drohten auf die Vorhänge überzugreifen.
    Sie stellte die Pillenflasche neben den Herd und machte am Spülbecken ein paar Geschirrtücher nass. Als sie mit den nassen Tüchern zum Herd zurückkam, waren die Plastikflasche und ihre kostbaren Tabletten geschmolzen und breiteten sich als kunterbunte Pfütze auf der Arbeitsfläche aus.
    Zu Hause war der Anrufbeantworter eingeschaltet.
    »Ewan! Ich bin‘s. Nimmst du bitte ab? Ewan! Es tut mir Leid, dich zu stören, aber nimm doch bitte ab! Es ist wichtig.«
    Ewan zeichnete alle Anrufe auf. Ansonsten käme er nicht zum Arbeiten, sagte er. Sie bot ihm an, eine zweite Leitung legen zu lassen, damit er eine eigene Nummer hätte und nicht mehr durch Privatgespräche belästigt würde, doch er wandte ein, dass er dann keine Möglichkeit mehr hätte, sich verleugnen zu lassen. Manchmal war sie sehr versucht, ihm vor Augen zu halten, dass er Werbeslogans erfand und keinen bahnbrechenden Impfstoff. Wann war sie so gemein geworden? Und wann hatte er angefangen, Anrufe seiner Frau aufzuzeichnen?
    »Ewan! Ich weiß, dass du da bist! Nimm den verdammten Hörer ab!«
    »Grace?« Er klang erschrocken.
    Das zeigte nur, wie selten Grace Kraftausdrücke benutzte. Für gewöhnlich vermied sie es - der Kinder wegen.
    »Ich hoffe, ich habe dich nicht von Chocslim weggeholt«, sagte sie.
    »Slimchoc. Nein, ich arbeite nicht. Wir fliegen doch heute in den Urlaub«, reagierte er säuerlich auf ihren Sarkasmus, und jetzt bedauerte sie ihren Spott. »Bist du auf dem Heimweg?«, erkundigte er sich.
    »Nicht direkt.« Sie lag, außerhalb von Franks Hörweite und Mrs Carrs Schusslinie, ausgestreckt auf dem Rücksitz ihres Wagens. Die Sonne heizte das Leder auf. Wenn sie die Beine anzöge, könnte sie sich zusammenkuscheln, wie sie es als Kind auf langen Autofahrten getan hatte, während das leise Brummen des Motors und die Bewegungen des Wagens sie sanft einlullten. Es gefiel ihr immer wieder, wenn sie nach dem Aufwachen aus dem Fenster schaute und sich an einem völlig anderen Ort befand - in einer belebten Stadt oder auf einer stillen Landstraße oder, im Sommer, sogar am Meer. Damals fing sie an, Autos zu lieben - und das Darinsitzen.
    »Grace! Bist du noch da?«
    »Ja. Hör zu - es hat sich eine kleine Änderung ergeben. Je nachdem, wie sich die Dinge entwickeln, kann ich vielleicht erst auf dem Flugplatz zu euch stoßen.«
    »Das ist nicht dein Ernst! Wer soll denn die Koffer fertig packen?«
    »Willst du gar nicht wissen, warum ich mich möglicherweise verspäten werde, Ewan?«
    Er musste ihre Frostigkeit durch die Leitung mitbekommen haben, denn er antwortete hastig: »Doch, natürlich! Warum denn?«
    »Ich sitze wegen einer Schießerei fest«, erklärte sie ihm.
    »Okay«, sagte er. Grace zählte bis drei.
    »Hast du gerade Schießerei gesagt?«, fragte er ungläubig. »Es geht um einen Streit mit einer Nachbarin. Sie hat uns mit einem Gewehr im Visier«, erläuterte Grace in fast heiterem Ton. »Wir warten im Moment auf die Polizei.«
    »Das hört sich ja dramatisch an.« Er klang jetzt eine Spur interessierter. Oder zumindest voll da. Manchmal, wenn sie ihm etwas erzählte, vermittelte er glaubhaft den Eindruck, an ihren Lippen zu hängen, nickte und lächelte und reagierte an den richtigen Stellen, doch wenn sie das Thema ein paar Tage später erneut zur Sprache brachte, schaute er sie verständnislos an, und sie erkannte, dass er mit seinen Gedanken in Wahrheit ganz woanders gewesen war. Aber nicht immer bei seiner Arbeit, das musste sie zugeben. Einmal hatte er eine ganze Reiseroute durch Deutschland entworfen, während Grace ihm ausführlich die Symptome der Magen-Darm-Erkrankung schilderte, die ihre Mutter sich mit einem Virus eingefangen hatte. Früher hatte sie diese Schummelei als liebenswert empfunden.
    »Ist es auch«, erwiderte sie.
    »Bist du in Gefahr?« Die Besorgnis in seiner Stimme wärmte
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