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Kleine Suenden zum Dessert

Kleine Suenden zum Dessert

Titel: Kleine Suenden zum Dessert
Autoren: Clare Dowling
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hereinkommen und sie fragen würde, was in aller Welt sie da tue, und sie dann lachen und antworten würde: »Ich habe nicht die leiseste Ahnung! Es war nur so eine verrückte Anwandlung. Trinken wir eine Tasse Tee zusammen?« Aber es würde niemand kommen. Von den sporadischen Pensionsgästen abgesehen, war Sie seit JJs Tod vor zwei Jahren allein in diesem Haus. Nicht einmal die Katze war da geblieben. Sie hatte weiter funktioniert - gegessen, geschlafen, gesprochen doch in ihrem Innern spielte sich nichts mehr ab. Oft kam sie sich wie eines dieser Unfallopfer auf der Intensivstation vor, die atmeten, obwohl das, was sie zu Menschen machte, gestorben war. In der Erinnerung an diesen melodramatischen Vergleich legte sie bedächtig zwei Tabletten auf ihre Zunge und griff nach dem Wasserglas.
    Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit
    dir...
    Das Telefon klingelte. Mist, verdammter! Sie würde es einfach ignorieren.
    ... der Herr ist mit dir, du bist gebenedeit unter... Aber es klingelte und klingelte, bis sie es nicht länger aushielt, die Tabletten in ihre hohle Hand spuckte und den Hörer von der Gabel riss. »Hallo?«
    »Mammy?«
    »Michael?«
    »Natürlich Michael.« Es klang ein wenig gekränkt. »Ich wundere mich nur, weil du sonst nie um diese Zeit anrufst«, bemühte sie sich um einen freundlichen Ton. »Das stimmt schon - aber ich bin mit dem Wagen zu einer Besprechung unterwegs und dachte, ich höre mal, wie es dir geht.«
    »Das wäre nicht nötig gewesen.« Seit JJs Tod rief Michael alle naselang an. Sie musste das Telefon aushängen, um sich in Ruhe Fair City ansehen zu können.
    »Immerhin bist du ganz allein«, hielt er ihr in gedankenloser Brutalität vor Augen. »Und du weißt, dass du manchmal zu essen vergisst.«
    »Ich vergesse nie zu essen.« Sie vergaß manchmal, sich zu waschen , aber das störte sie nicht weiter. Von alten Leuten erwartete man ja beinahe, dass sie muffelten. Sie zermarterte sich den Kopf nach einem Gesprächsthema - das ging ihr bei Michael schon seit seiner Kinderzeit so. »Wie geht es Gillian?«, fragte sie schließlich lahm.
    »Großartig. Sie glaubt, es ist gar keine Lungenentzündung.«
    »Das ist ja schön.«
    »Sie meint, es könnte eine Bronchitis sein.«
    »Müsste sie mit einer Bronchitis nicht im Krankenhaus liegen?«, erkundigte sich Julia. »Oder zumindest im Bett?«
    »Offenbar weiß man bei manchen Arten von Bronchitis gar nicht, dass man eine hat. Das hat sie in einem ihrer medizinischen Bücher gelesen.«
    »Nun, sag ihr, dass ich ihr gute Besserung wünsche. Und was gibt es Neues von Susan?«
    »Sie redet wieder nicht mit mir«, antwortete er bedrückt. »Was hast du ihr denn diesmal angetan?«
    »Das ist ja das Problem: Ich weiß es nicht.« Julia schnalzte mit der Zunge. »Sie ist dreizehn, Michael. Das ist ein schwieriges Alter.«
    »War ich mit dreizehn auch so?«, wollte er mit plötzlich lebhafter Stimme wissen.
    »Ganz genauso«, antwortete Julia, doch das stimmte nicht, denn Michael hatte sich mit dreizehn in keiner Weise auffällig verhalten. Auch in keinem anderen Alter. Abgesehen davon, dass er damals viel aß. »Also, Michael, wenn das alles ist... ich habe zu tun ...«
    »Klar, okay - dann sehen wir dich am Donnerstag.«
    »Was?« Sie waren erst am Wochenende da gewesen. Für gewöhnlich brauchte sie vierzehn Tage, um sich von den Besuchen zu erholen.
    »Du hast am Donnerstag Geburtstag, Mammy.« Mist, Mist, Mist!
    »Ha!«, sagte er. »Du dachtest, wir hätten ihn vergessen, stimmt‘s?«
    »Ja.« Sie hatte ihn vergessen!
    »Falsch gedacht! Wir verbringen den Tag mit dir und feiern ganz groß. Es ist schon alles geplant. Gillian wird einen Kuchen backen und so weiter. Falls ihre Bronchitis es zulässt«, setzte er einschränkend hinzu.
    »Ich möchte nicht, dass ihr euch so viel Mühe mächt, Michael...«
    »Keine Widerrede! Wir bestehen darauf«, fiel er ihr ins Wort. Doch dann registrierte sein Gehirn offenbar ihren Mangel an Begeisterung, denn er sagte in fast entschuldigendem Ton: »Ich weiß ja, dass du deinen Geburtstag letztes Jahr nicht feiern wolltest, weil Daddy da noch nicht lange tot war, aber er hätte nicht gewollt, dass du dein restliches Leben trauerst, Mammy.«
    Diese locker aus dem Ärmel geschüttelte Behauptung und die Erwartung, dass sie ihren Kummer nach einer bestimmten Zeit bewältigt haben müsste, ärgerten sie. »Du hast keine Ahnung, was JJ gewollt hätte.«
    »Nun, äh, nein, natürlich nicht... ich
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