Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kleine Suenden zum Dessert

Kleine Suenden zum Dessert

Titel: Kleine Suenden zum Dessert
Autoren: Clare Dowling
Vom Netzwerk:
sich heiß an. Sie kam sich vor wie in einem Western oder zumindest wie in Hawaii 5-0, obwohl der Aggressor im Fernsehen immer eher ein geheimnisvoller, attraktiver Mann war und keine wunderliche, alte Frau. Grace konnte es kaum erwarten, den Jungs von diesem Abenteuer zu erzählen. Stellt euch vor - ich musste mich vor einem Gewehr retten! Das würde die beiden bestimmt beeindrucken. Vielleicht auch nicht. Seit ihre Söhne acht geworden waren, hatte sie das Gefühl, dass diese sie mehr oder weniger als Hintergrundgeräusch empfanden. Nein, das war wahrscheinlich unfair - es hatte ihr nur so wehgetan und tat es noch immer. Innerhalb von sechs Monaten hatten sie sich von pfirsichwangigen Babys in halbwüchsige Ungeheuer verwandelt, die sich Spielzeugmaschinenpistolen zum Geburtstag wünschten und die meiste Zeit damit verbrachten, einander grün und blau zu prügeln. Nicht mehr erwünscht waren die mütterliche Aufmerksamkeit und Zärtlichkeit. Nie würde sie den vernichtenden Moment vergessen, als Jamie sich mit einem fast angewiderten Ausdruck ihrer Umarmung entwand. Jetzt war es Ewan, dem sie auf Schritt und Tritt folgten, den sie baten »Schau mal, was ich kann!« und »Kommst du mit uns nach draußen? Bittebittebitte!« Grace wurde auf der Türschwelle stehen gelassen wie eine Hausangestellte, die für warme Mahlzeiten und saubere Socken zu sorgen hatte.
    Disneyworld war ihre Idee gewesen - als eine Möglichkeit, die Familie wieder richtig zusammenzubringen. Also hatte sie sich einen Monat Urlaub genommen, die Tickets besorgt und sie in selbst gebackenen Glückskeksen versteckt, die sie eines Abends als Nachtisch servierte. »Einen ganzen Monat sollen wir dort verbringen? Da werden wir ja irre«, erklärte Ewan.
    »Ist das während des Schuljahres?«, erkundigte sich Neil, der um zweiundzwanzig Minuten jüngere, aber viel kräftigere Zwilling.
    »Mein Ticket ist angekokelt«, beschwerte sich Jamie, der andere.
    Grace schaute in die Runde. Sie hätten sich für den Preis dieser Reise ein neues Auto leisten können oder auf die Malediven fliegen und einen Monat lang am Strand faulenzen (was ihr sehr viel besser gefallen hätte, als durch den verdammten Enchanted Tiki Room zu latschen). Also knallte sie, anstatt sie mit Engelszungen zu bereden, die Prospekte auf den Couchtisch und lehnte sich wortlos zurück. Natürlich schlugen sie sie auf und sahen die phantastischen Wasserrutschen und Dschungelexkursionen, und plötzlich waren sie Feuer und Flamme. Eine schrille Stimme riss die Morgenstille in Fetzen. »Frank Gorman! Sie halten sich von meinem Haus fern, verstanden?«
    Frank zitterte sichtbar. »Großer Gott! Sie wird mich erschießen!«
    »Seien Sie nicht albern.« Grace tippte die Nummer 999 in ihr Handy ein und richtete sich so weit auf, dass sie durch das Wagenfenster über die Straße schauen konnte. Irgendjemand hatte einen Kaugummi an die Innenseite der Scheibe geklebt. Wahrscheinlich Neil. Sie würde ihn umbringen. »Provozieren Sie sie bloß nicht«, warnte Frank. Drüben wurde der Netzstore ein Stückchen zur Seite gezogen, und Grace sah hoch aufgetürmte weiße Haare über etwas, das wie ein zerknittertes Kleid aussah. Es konnte auch ein Bademantel sein. Der Anblick erinnerte sie an eine der Hexen aus Macbeth. Der Gewehrlauf ragte jetzt weit aus dem Fenster. Er wackelte einen Moment lang hin und her und wurde dann gen Himmel gerichtet. »Trinkt sie?«, fragte Grace. »Wie ein Fisch«, antwortete Frank. Der Netzstore fiel an seinen Platz zurück, als sei Mrs Carr es müde geworden, ihn festzuhalten. Vielleicht ging sie sich ja auch etwas zu trinken holen. Der Gewehrlauf blieb in Position.
    Grace begannen die Füße wehzutun. Das passierte in diesen hochhackigen Sandalen immer nach einiger Zeit, aber damit musste sie leben. Wenn man Häuser verkaufte, vor allem Häuser in besseren Gegenden, musste man ein bestimmtes Image wahren. Darum auch die vielen eleganten Kostüme in ihrem Kleiderschrank. Deren Farblosigkeit zielte darauf ab, sich nicht von dem Dekor eines Objektes abzuheben. Einmal war sie so perfekt damit verschmolzen, dass ein Interessent sie, obwohl im selben Raum mit ihr, nicht wahrgenommen hatte. Sie stand vor einer Wand, während er sich um seine eigene Achse drehte und murmelte: »Wo zum Teufel ist das Weib geblieben?«
    »Notrufzentrale«, schepperte die Stimme der 999-Vermittlung in ihr an ihrem Handy klebendes Ohr. »Die Polizei, bitte«, sagte Grace.
    Nach einer kurzen Stille fragte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher