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Kleine Suenden zum Dessert

Kleine Suenden zum Dessert

Titel: Kleine Suenden zum Dessert
Autoren: Clare Dowling
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meinte ja nur ...«
    »JJ hat gern gefeiert. Er hat ein paar wundervolle Geburtstagspartys für mich arrangiert. Vor drei Jahren flog er sogar mit mir nach Paris, um Himmels willen!« Am anderen Ende der Leitung herrschte gekränktes Schweigen.
    »Es ist einfach ... ich bin noch nicht so weit, Michael.« Plötzlich fiel ihr ein, dass sie am Donnerstag sowieso tot wäre, dass sie hier um Kaisers Bart diskutierten. »Also schön«, lenkte sie scheinbar ein. »Dann kommt.«
    »Okay«, freute er sich. »Wir bringen Masken mit, falls Gillian noch ansteckend sein sollte.«
    Julia wurde klar, dass sie jetzt und hier zum letzten Mal mit ihrem Sohn sprach. Ihrem einzigen Kind. Es erschien ihr wichtig, etwas zu ihm zu sagen, woran er sich erinnern würde. »Michael?«
    »Ja, Mammy?«
    »Ich ... ich danke dir für alles. Du warst ein sehr guter Sohn.« Es klang steif und nüchtern, drückte nicht im Entferntesten aus, was sie wirklich meinte. Aber er war anscheinend trotzdem gerührt, denn er schwieg. »Michael?«
    »Tut mir Leid, Mammy - ich bin gerade durch einen Tunnel gefahren. Was hast du gesagt?«
    »Oh, nichts Besonderes. Alles Gute für deine Besprechung.«
    Sie legte auf. Also - wo war sie gewesen? Ach ja, richtig. Gegrüßet seist du, Maria. Die zwei Tabletten hatten sich in ihrer Hand aufgelöst. Also fehlten ihr jetzt zwei. Aber die restlichen würden hoffentlich noch genügen. »Verdammt!« Auf einmal begannen ihre Hände wie wild zu zittern. Sie versuchte, sie ruhig zu halten, doch je mehr sie sich anstrengte, umso schlimmer wurde es, bis sie schließlich auf ihren Knien auf und ab hüpften, als spielten sie ein temperamentvolles Klavierstück. Ein paarmal tief durchatmen und alles wäre wieder in Ordnung. Es hätte doch keinen Sinn, jetzt wegen einer Entscheidung in Hektik zu verfallen, die sie vor Wochen als völlig vernünftig angesehen und getroffen hatte. Schon vor Monaten! Nun ja - in Wirklichkeit war es keine richtige Entscheidung gewesen. Sie war kein Mensch, der Entscheidungen traf - sie schienen immer mit so unnötiger Angst und dem Abwägen des Für und Wider behaftet. Nein, sie hatte Ideen , und wenn eine sich in ihrem Kopf festsetzte, dann konnte sie nicht anders, als sie mit all ihrer Kraft und Energie in die Tat umzusetzen. Wie bei dem Steingarten hinter dem Haus, zum Beispiel. Sie hatte eines Morgens am Spülbecken gestanden und beim Abwaschen in den Garten hinausgeschaut, als ihr plötzlich bewusst wurde, wie wenig es da zu sehen gab. Und dann hatte sie nicht geruht, bis sie den letzten Stein in ihrem wunderhübschen Steingarten gesetzt hatte (der in Wahrheit ziemlich windschief war). JJ hatte ihr zugesehen und war von ihrer wilden Entschlossenheit ebenso amüsiert wie beeindruckt. Als ihr Kunstwerk fertig war, vergaß sie es augenblicklich und schrieb sich für einen Bierbrauen-für-den-Hausgebrauch-Kurs ein. Vor ein paar Monaten - wann genau, vermochte sie nicht zu sagen - war sie eines Morgens aufgewacht und hatte eine Ewigkeit lang versucht, die Energie aufzubringen, sich dem neuen Tag zu stellen: ein Kleid zu finden, das sauber war, vielleicht einen Hauch Lippenstift aufzutragen und in dem leeren Haus herumzupusseln, bis es wieder Zeit wäre, ins Bett zu gehen. Aber eigentlich wollte sie es gar nicht mehr.
    Nachdem dieser Gedanke aufgetaucht war, war es eine logische Folgerung, eine Schlafstörung zu erfinden, um Dr. Nolan zur Verschreibung verschiedener Medikamente zu veranlassen, ihren letzten Willen zu aktualisieren und noch einige andere Angelegenheiten zu regeln. Der Gedanke hatte sie heute in dieses Zimmer geführt, an diesen Tisch. Sie musste ihn nur noch in die Tat umsetzen. »Schluss damit!« Ihre Hände wollten nicht aufhören zu zittern, und sie wurde böse auf sie. Immer machte ihr Körper Sperenzchen, produzierte alle möglichen Wehwehchen und wurde zusehends unberechenbarer, drangsalierte sie mit Kleinigkeiten, mit denen er sie ärgern wollte, wie ihr schien, die aber nicht schlimm genug waren, um sie umzubringen und ihr diese Prozedur jetzt zu ersparen. Wenn er Anstand besäße und ihr gegenüber loyal wäre, wäre er ein paar Wochen nach JJs Tod ebenfalls gestorben. Sie hatte weder gegessen noch geschlafen, nicht einmal Wasser getrunken; sie hatte genügend Schlaftabletten geschluckt, um einen Ochsen umzuhauen, aber ihr Körper machte weiter. Lebte, obwohl sie mit jeder Faser ihres Seins sterben wollte. Er war ein widerspenstiges, feiges, dummes Ding, und sie würde froh sein,
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