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Klebstoff

Klebstoff

Titel: Klebstoff
Autoren: Irvine Welsh
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das dann zu der Sache am Clouds geführt hatte, wo Doyle sich mit diesem Jungen prügelte. Was war daraus entstanden? Das alles? Doch wohl kaum, oder? Das Leben muss mehr sein als eine Abfolge unlösbarer Geheimnisse. Wir haben doch bestimmt ein Anrecht auf n paar verdammte Antworten.
    Carl Ewart erschien die Welt so brutal und ungewiss wie eh und je. Zivilisation merzte Brutalität und Grausamkeit nicht aus, sie ließ sie nur weniger scheußlich und dramatisch aussehen. Die großen Ungerechtigkeiten blieben, und alles, was die Gesellschaft dagegen zu tun schien, war, die Beziehung von Ursache und Wirkung zu verschleiern, einen Deckmantel aus blödem Gequatsche und Tand darüber zu breiten. Gedanken, die zwischen Unklarheit und Klarheit schwankten, rasten durch seinen übermüdeten Verstand.
    Billy musste Fabienne in Nizza anrufen. Er würde nächste Woche hinfahren, sich ein bisschen an der Cote d’Azur entspannen. Er hatte zu viel gearbeitet, sich zu viel aufgehalst. Eines Tages würd er von Gillfillan und Power unabhängig sein, das war schon immer sein Ziel gewesen, und er hatte es nie aus den Augen verloren. Aber wenn er sich Menschen wie Duncan Ewart ansah, oder auch nur, wie das Altern seine eigenen Eltern immer mehr zusammenschrumpfen ließ, tja, das Leben war zu kurz.
    – Wie geht’s … äh, deiner Schilddrüse, Billy? fragte Carl.
    – Gut, meinte Billy, – aber ich brauch das Thyroxin. Manchmal nehm ich versehentlich zu viel, und dann ist das, als wär ich auf Speed.
    Terry wollte sich noch weiter unterhalten. Billy hatte eine französische Freundin, hatte Rab erzählt. Carl hatte eine Freundin in Australien, eine Neuseeländerin. Er wollte mehr über sie wissen. Es gab noch so viel Gesprächsstoff. Er würde sich später mit Lisa treffen. Es war toll, Carl wiederzusehen, selbst unter diesen schrecklichen Umständen mit dem armen, alten Duncan.
    Wenn er daran dachte, wie er Carl nach Gallys Tod schikaniert hatte. Er hatte das missverstanden, er hatte gedacht, Carl wollte mit so was anfangen wie »nehmen wir doch alle ne Ecky und erzählen uns gegenseitig, wie doll wir Gally lieben und vermissen«; hatte gedacht, er wollte bloß die Erinnerung an ihn verwässern. Aber so war das gar nicht. So war das nie gewesen.
    Carl musste auch daran denken. Die Erinnerung an Gally schien in die Realität rein-und wieder rauszugleiten, ganz so wie er selbst im Flugzeug. Er fasste das düster als sicheres Zeichen auf, dass der Tod bedrohlich näher rückte. Er hatte es in den Augen seines Vaters gesehen. Er würde sich mit den Drogen n bisschen vorsehen und erst mal wieder auf die Beine kommen. Er war ein Mann in mittleren Jahren, der die Hälfte seines Erdendaseins hinter sich hatte, kein kleiner Junge mehr.
    – Kann ich euch auf n Bier einladen? fragte Terry. Billy guckte Carl an und hob leicht seine Brauen.
    – Ich könnt ein Bier vertragen, aber nur ein, zwei, Jungs. Ich bin mehr als im Arsch und sollte eigentlich nach Haus zu meiner Ma gehen, sagte Carl.
    – Meine alte Dame ist bei ihr, Carl, und deine Tante Avril und so. Sie ist für ne Weile gut versorgt, sagte Billy.
    – Wheatsheaf? schlug Terry vor. Sie nickten. Er sah Billy an.
    – Weißte was, Billy? Du sagst gar nich mehr »die Härte«. Früher hast du das andauernd gesagt.
    Billy ließ sich das durch den Kopf gehen und schüttelte verneinend den Kopf. – Ich kann mich nich erinnern, das je gesagt zu haben. Ich hab früher oft »krass« gesagt. Mach ich immer noch.
    Terry sah Carl um Unterstützung heischend an. Carl zuckte mit den Schultern. – Ich kann mich nicht erinnern, dass irgendwer von uns »die Härte« gesagt hat. Ich weiß noch, dass Billy oft »heftig« gesagt hat.
    – Vielleicht mein ich das, nickte Terry.
    Sie gingen durch den Park, drei Männer, drei Männer in mittleren Jahren. Einer sah etwas schwammig aus, der andere muskulös und durchtrainiert, und der Letzte war dünn und trug Klamotten, die manche wohl etwas zu jugendlich für ihn gefunden hätten. Sie sagten nicht viel zueinander, aber sie vermittelten den Eindruck, dass sie sich nahe standen.

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Reprise 2002:
Das Goldene
Zeitalter

Carl zog den Auszug unter dem Mischpult raus, und das Keyboard kam zum Vorschein. Seine Finger huschten darüber hinweg, einmal, zweimal, dreimal, und nahmen jedes Mal kleinere, aber entscheidende Veränderungen vor. Er registrierte, dass Helena in den Raum kam. Wäre er nicht so vertieft gewesen, hätte er zu seinem Schrecken bemerkt,
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