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Klausen

Klausen

Titel: Klausen
Autoren: Andreas Maier
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die Welt ohne Strom.Unvorstellbar, Klaus, wir hätten keinen Strom! Solcherart ging das Gespräch dann noch eine Weile hin und her, und dem Unterwirt wurde klar, daß der angebliche Ingenieur nur deshalb so ein abwegiges Zeug daherredete, um die Touristen zu möglichst peinlichen Aussagen und Selbstentblößungen zu verleiten. Alles endete damit, daß der angebliche Ingenieur die beiden Touristen dann noch geradezu zwang, einen Kalbskopf zu essen, er pries den Kalbskopf als die besondere Spezialität dieses Hauses, jeder esse hier diesen Kalbskopf, man könne nicht in Feldthurns im Unterwirt gewesen sein, ohne den Kalbskopf gegessen zu haben etcetera . Dabei war der junge Mann selbst noch nie im Unterwirt oder auch nur in Feldthurns gesehen worden und konnte den Kalbskopf aus der Küche des Unterwirts also überhaupt nicht kennen. Tatsächlich bestellte das Ehepaar nun zu seinem Speck noch zwei Portionen Kalbskopf sauer angemacht. Der Wirt sagte zu alledem nichts. Während der vermeintliche Gasser noch immer vor seinem Teller saß, ohne ihn anzurühren, aßen die Deutschen den Kalbskopf auf, eine befremdliche Situation. Dann sei dem Unterwirt zufolge der junge Gast aus dem Eisacktal gegangen … Die Mutter des Unterwirts beharrte später darauf, der betreffende Gast sei mit Sicherheit Josef Gasser gewesen, sie habe ihn drei Wochen später auf den Bildern im Eisacktaler Tagblatt und in der Tagesschau sofort wiedererkannt und schon damals bei seinem Auftritt im Unterwirt ein eigenartiges Gefühl gehabt. Mit dem sei von Anfang an etwas nicht inOrdnung gewesen. Freilich gab sie das alles erst der Öffentlichkeit preis, als das Unglück bereits geschehen war. Und wenn man sie fragte, warum sie, wenn sie doch alles so genau wußte, nicht schon viel früher etwas darüber gesagt hatte, dann behauptete sie einfach, sie habe schon von Anfang an alles gesagt, aber es habe ihr keiner zugehört. Zwei- oder dreimal wurde sie nach Bozen auf die Polizei gebracht, damit sie dort ihre Aussage zu Protokoll bringe, viele Feldthurner scharten sich eine Weile um sie, um dies oder das über Gasser (oder die betreffende Person) zu erfahren, sie behauptete sogar, schon kurz nach jener Szene im Unterwirt einen Bittbrief am Mariahilfaltar in Sankt Laurentius angeheftet zu haben zum Behufe der Abwendung des bevorstehenden Schicksals. Andere wiederum behaupteten, dieser Bittbrief sei überhaupt erst wenige Tage, bevor die Mutter des Unterwirts von ihm zu erzählen begonnen habe, also erst nach dem ganzen Geschehen, mit einem falschen und rückdatierten Datum von ihr dort aufgehängt worden, und er enthalte Informationen, die sie einfach im nachhinein der Zeitung entnommen habe. Die Mutter des Unterwirts erzählte später ständig irgendwelche Geschichten über Gasser, über seine Herkunft, seine Familie, über sein Wesen und seine Geschichte, obgleich sie Gasser vorher überhaupt nie in ihrem Leben gesehen hatte. Alles entstammte bloß der Zeitung und dem Fernsehen. Gassers angeblichen Auftritt beim Unterwirt stellte sie dementsprechend ganz anders dar als ihr Sohn. Gasser habe, so sie, auf eine hinterhältige Weise auf ihren Sohn eingeredet und ihn für seine Unternehmungen (so nannte sie das) zu gewinnen versucht, indem er zuerst seine Position erforscht und sich insgesamt ein Bild über ihn zu verschaffen versucht habe. Er habe ihm überdies detaillierte Fragen über die lokalen Gegebenheiten gestellt und sich zur Tarnung als Ingenieur ausgegeben. Währenddessen habe er mit großem Appetit eine Portion Kalbskopf verspeist. Dann seien aber glücklicherweise noch zwei andere Gäste erschienen, ein Ehepaar aus Münster, und dieses habe ihren Sohn vor Schlimmerem bewahrt, denn Gasser habe alsbald von seinen Unternehmungen abgelassen und sei gegangen … Die Tochter des Unterwirts, Julia, sagte ihrerseits, der Gast sei mit Sicherheit nicht Josef Gasser gewesen, er habe nicht einmal eine Ähnlichkeit mit ihm beziehungsweise den veröffentlichten Photographien gehabt. Ob jener eigenartige und verdächtige Gast seinen Kalbskopf selbst gegessen hatte oder nicht, das konnte bald niemand mehr sagen, und man fand diese eine Zeitlang viel diskutierte und auch im Lokalteil des Eisacktaler Tagblatts ausführlich behandelte Frage aus irgendwelchen Gründen sehr wichtig und wendete sie später sogar ins Politische. Diese Vorgänge wurden im nachhinein als eine Art Vorspiel für das Hauptstück in Klausen dargestellt beziehungsweise hochgespielt.
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