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Klausen

Klausen

Titel: Klausen
Autoren: Andreas Maier
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Möglicherweise, sagten die einen, war Gasser dort oben spazieren gewesen, hatte die besagte Wirtschaft betreten und sich über die Touristen empört; aber vielleicht, sagten andere, war einfach allesvom Unterwirt aus Wichtigtuerei erfunden … Es war auch für einige nicht vorstellbar, was mancherorts erzählt wurde, nämlich daß Auer dort oben in Feldthurns gewesen sein soll, denn Auer verließ Klausen bis zu seinem jähen Tod nur noch selten, und nachdem er seinen Verkehr mit den Leuten auf der Ploderburg eingestellt hatte, verließ er Klausen überhaupt nicht mehr. Es war zwar allgemein bekannt, daß sich Auer und Gasser in einer Klausner Wirtschaft tatsächlich einmal als Ingenieure vom Latzfonser Kreuz ausgegeben hatten, und zwar irgendeiner deutschen Seniorenreisegruppe gegenüber, der sie stundenlang etwas vorgelogen hatten, aber da das alles in der Zeitung gestanden hatte, wurde durchaus vermutet, daß der Unterwirt Erlebtes und Gelesenes vermischte und insgesamt, wie alle anderen auch, Voriges und Späteres vermengte und zu einem unlösbaren Knäuel verwirrte. Einige wenige glaubten schließlich sogar, daß das ganze Vorspiel in Feldthurns nichts als erfunden war, eine bloße Kombination im Raum schwebender Motive. Über Gasser und seine Herkunft gingen die Meinungen damals sehr auseinander. Es wurde viel über ihn erzählt, und später wurde noch viel mehr erzählt, und die Ansichten über ihn und seine Familie radikalisierten sich dabei. Gasser war der Sohn eines Klausner Schuhmachers, der sein Handwerk schon seit fast zwei Jahrzehnten nicht mehr ausübte, sondern nur noch Schuhe verkaufte. Lediglich in einem hinteren Winkel hatte er noch eine kleine Werkbank, dort klebte er hier und da Sohlenauf oder ließ Gummistücke in Lederabsätze ein. Gassers Vater war ein stiller, stark schielender Mann, der tagein, tagaus in seinem Geschäft, das aus einem einzigen Raum bestand, herumsaß, mittags um zwölf den Laden verschloß, mit dem Fahrrad die neunhundert Meter zu seiner Wohnung fuhr, speiste, sich auf die Couch legte, gegen drei wieder zu seinem Laden fuhr, das Fahrrad abschloß, das Geschäft wieder aufsperrte und dann dort bis sechs oder halb sieben herumsaß, ein Schicksal, das er mit sämtlichen Friseuren und Tabakhändlern und sonstigen Selbständigen in Klausen teilte, die allesamt auf dieselbe Weise in ihren Läden herumsaßen. Zu Hause, wenn er mit der Familie in der Stube war, sprach der alte Gasser fast nichts; alle Anwandlungen eines Gesprächs machte er dort zumeist durch solche Laute wie ach oder oi zunichte, denn ihm war alles andere zu anstrengend, es überforderte ihn. Aber wenn er in seinem Schuhladen saß, dann bereitete es ihm die größte Freude, wenn einer seiner selbständigen Nachbarn mit blauer Schürze zu ihm in den Laden kam und sie beide dann für einen Augenblick in die nächste Bar gingen, um einen Roten zu trinken. Die Nichtgespräche, die dann am Pudl geführt wurden, dieses Hinundherknurren irgendwelcher Geräusche, das war es, wobei er sich wohlfühlte. Oder der alte Gasser ging selbst zu einem seiner Nachbarn, dem Friseur oder dem Tabakhändler, band sich dafür eigens die blaue Schürze um und schlug seinerseits vor, in die Bar zu gehen. Josef Gasser hatte dieses Leben seines Vaters von Anfang annervös gemacht. Wenn er als Kind zwei Stunden in dem Laden seines Vaters herumsaß und dort irgend etwas half, dann mußte er anschließend sofort hinauslaufen und auf den nächsten Berg rennen. Später soll er als Schüler aus irgendwelchen Gründen gewisse Theorien über den Kapitalismus entwickelt und zugleich begonnen haben, sich sehr für die italienische Wirtschaft zu interessieren. Das erzählten die Klausner nach den Ereignissen. Vor allem seine früheren Mitschüler oder Lehrer redeten plötzlich ständig davon, und zwar in so allgemeinen Wendungen wie: Der Gassersohn habe früher immer viel von der italienischen Wirtschaft gesprochen, schon vor der Matura; oder: An allem, was die italienische Wirtschaft betreffe, habe der Gasser immer großes Interesse gehabt; oder: Der Gasser habe von Anfang an den Staat ökonomisch betrachtet, und er habe sich auf keinem Gebiet so gut ausgekannt wie auf dem der italienischen Wirtschaft. Andere sagten, er habe überhaupt keine Ahnung von Ökonomie gehabt, sondern nur deshalb irgend etwas über Wirtschaftsformen dahergeredet, weil er sich der damaligen Mode entsprechend als Kommunist habe aufspielen wollen, und folglich habe er das Wort
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